Carmen Possnig

10.2020 Die Medizinerin Carmen Possnig hat im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA für ein Jahr auf Concordia gelebt. Einer Forschungsstation in der Antarktis mit Temperaturen bis zu -80°. Ihre Erlebnisse schildert sie im Buch „Südlich vom Ende der Welt“. Wir haben Carmen Possnig ein paar Fragen gestellt.

"Das Zurückkommen war für mich und viele Kollegen eines der schwersten Dinge an der Mission."

Sachbuch-Couch.de:
Ihr Aufenthalt in Concordia liegt nun einige Zeit zurück. Im Nachhinein: Was haben sie über sich selbst gelernt?

Carmen Possnig:
Dass meine Finger mit weniger als fünf Paar Handschuhschichten während Spaziergängen bei -80°C innerhalb von Minuten einfrieren (und dass ich die Schmerzen beim Wiederauftauen als äußerst unangenehm empfinde).

Etwas ernster gesagt, lernt man sich dort tatsächlich selbst sehr gut kennen – und kann auch gut beobachten, wie sehr man sich während des Jahres verändert. Im Nachhinein ist das etwa an den Tagebucheinträgen gut erkennbar. Ich habe meine eigenen Grenzen kennengelernt, noch nie musste ich so oft hinaus aus meiner Komfortzone. Ich habe gelernt, wie wichtig es für mich ist, Zeit nur für sich zu haben, zum Beispiel für einen Spaziergang im Eis, einfach um Nachdenken zu können. Das ist in der beengten Station keine Selbstverständlichkeit und das waren überaus wertvolle Momente. Es war auch bestärkend zu sehen, dass ich mit der Isolation, der Einsamkeit und Dunkelheit eigentlich gut umgehen kann.

Sachbuch-Couch.de:
Über mehrere Monate haben sie eng mit wenigen Menschen zusammengelebt und gearbeitet. Haben Sie heute noch zu allen Kontakt?

Carmen Possnig:
Wir haben eine gemeinsame Whatsapp-Gruppe, über die wir immer wieder Neuigkeiten austauschen. Mit ein paar Crewmitgliedern habe ich dann noch engeren Kontakt, es sind einige schöne Freundschaften entstanden - es schweißt zusammen, ein solches Jahr miteinander zu verbringen. Sich plötzlich nicht mehr ständig zu sehen, war am Anfang sehr seltsam.

Sachbuch-Couch.de:
Offenbar sind Sie persönlich mit der Abgeschiedenheit besonders gut zurecht gekommen? Selbst die schwierigste Zeit in den dunklen Monaten, schien Ihnen weniger auszumachen, als vielen Ihrer KollegInnen. Wurde eine gewisse Sehnsucht erfüllt?

Carmen Possnig:
Ja, ich glaube schon – da ist sicher eine Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen, nach Abenteuern, nach Entdeckungen, in einer Welt, die auf den ersten Blick kaum noch so etwas bietet. Sieht man genauer hin, gibt es erfreulicherweise noch viele außergewöhnliche Abenteuer zu erleben, und ich bin überaus glücklich, eines davon mitgemacht zu haben.

"Unzählige Sterne, Galaxien, Nebel, Sternschnuppen, die Finsternis rundherum… man fühlt sich tatsächlich wie auf einem anderen Planeten."

Sachbuch-Couch.de:
Sie beschreiben viele enorme physische und psychische Auswirkungen, die diese Extremsituation in der Antarktis nach sich ziehen. Wie lange hat es bei Ihnen gedauert, bis sie sich wieder an das „normale“ Leben gewöhnt hatten. Was war dabei das Schwierigste?

Carmen Possnig:
Das Zurückkommen war für mich und viele Kollegen eines der schwersten Dinge an der Mission. Es ist ein Schock, wieder in die Hektik der Zivilisation zurückzukommen: viele fremde Menschen, unzählige Entscheidungen zu treffen, dauernd erreichbar zu sein – all das war extrem stressig, und ich habe einige Monate gebraucht, um mich wieder daran zu gewöhnen.  Aber auch das ist eine interessante Zeit: Bis heute fallen mir allerlei sonderbare Dinge auf, die ich sonst vielleicht als selbstverständlich genommen hätte. So empfinde ich es immer noch als seltsam, überall Menschen zu finden, die auf ihre Smartphones starren.

Sachbuch-Couch.de:
Wissen Sie noch, was das Erste war, was sie nach Ihrer Rückkehr gemacht haben?

Carmen Possnig:
Das war sehr schön: Ich habe mich in Neuseeland im Regen an einen Strand gesetzt, habe Delphine beobachtet und dabei Erdbeeren gegessen.

Sachbuch-Couch.de:
Sie beschreiben in Ihrem Buch immer wieder die besondere Schönheit der Antarktis. Gibt es etwas, das Sie heute noch vermissen?

Carmen Possnig:
Ja, definitiv. Die Ruhe und Einsamkeit, die die Station umgeben, und dieses Gefühl, wenn man inmitten der Polarnacht im Schnee spaziert, in dem sich das Licht der Milchstraße spiegelt. Unzählige Sterne, Galaxien, Nebel, Sternschnuppen, die Finsternis rundherum… man fühlt sich tatsächlich wie auf einem anderen Planeten.

Sachbuch-Couch.de:
Nun als „Polar-Hero“ (so die Bezeichnung erfolgreicher Expeditionsteilnehmer). Was ist ihr nächstes Projekt? Wollen Sie noch einmal in die Antarktis zurück?

Carmen Possnig:
Ich würde sehr gerne wieder zurück. Vielleicht in eine andere Station, näher an der Küste, mit etwas mehr Tierwelt rund herum.

Im Moment arbeitete ich an meinem PhD Projekt: Inspiriert von den Forschungen in der Antarktis beschäftige ich mich weiterhin mit Weltraummedizin. So forsche ich an der Uni Innsbruck, wie sich Schwerelosigkeit auf Astronauten auswirkt, wobei ich mich besonders für die Veränderungen im Gehirn interessiere. Das testen wir mithilfe von Bettruhestudien. Probanden verbringen dabei tage- bis monatelang in einer leichten Kopftiefneigung im Bett, womit ähnliche körperliche Veränderungen wie im Weltall ausgelöst werden. Ein irrsinnig spannendes Projekt, denn wie bei den ESA Forschungen in der Antarktis ist auch hier das Ziel, Astronauten während zukünftiger Langzeitweltraumflügen gesund und fit zu halten.

Das Interview führte André C. Schmechta im Oktober 2020.
Foto: © Cyprien Verseux

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