Straight outta Almanya
Provokateurin, Rapperin, Rebellin, Alevitin, promovierte Wissenschaftlerin – Reyhan Şahin vereint viele (scheinbar!) widersprüchliche Identitäten in ihrer Person. Als „Lady Bitch Ray“ macht sie bereits seit Jahrzehnten die deutsche Rapszene unsicher und sorgt immer wieder mit ihren expliziten Texten für Aufsehen; gleichzeitig ist sie studierte Germanistin und Linguistin und setzt sich im Sinne der Women, Gender und Queer Studies gegen Diskriminierungsprozesse ein. Nun prangert sie mit ihrem aktuellen Buch, einer Art Streitschrift, Missstände und Ungleichheiten an, die in bestimmten Milieus nach wie vor Bestand haben, und macht auf deren strukturell verankerte Fundamente aufmerksam – dies natürlich nicht trocken, sondern in ihrem eigenen, unverwechselbaren Jargon.
„Gender Jihad unterm Hijab“
Şahin unterteilt ihren Text in mehrere Abschnitte, in welchen sie ihre wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse und Kritik, untermauert und veranschaulicht von entsprechenden persönlichen Erfahrungen, präsentiert. Dazu beleuchtet sie zunächst ihre Selbstzuschreibung als Feministin (versiert und vertraut mit den großen Namen wie Butler etc. als auch mit weniger bekannten Vertreterinnen), skizziert die Konflikte und unterschiedlichen Gewichtungen in den Geistesströmungen der sog. Zweiten und Dritten Welle des Feminismus und spricht auch dabei bisher zu kurz gekommene Begriffe wie Intersektionalität an (also die Schnittstellen, wo sich Angriffsflächen für mehrere Exklusionsprozesse gleichzeitig, also z.B. aufgrund der Ethnie UND der Geschlechtszugehörigkeit, überschneiden).
Es folgt ein längerer Exkurs über das deutsche Hip-Hop-Business und dessen oft misogynen, queerfeindlichen und patriarchal geprägten Hierarchien, der Frauen entweder nach der Hure/Heilige-Dichotomie kategorisiert oder komplett objektifiziert. Dabei erklärt sie ausdrücklich ihre eigenen Texte (die sich aufgrund ihrer krassen und pornografischen Natur oftmals einer Kritik aus den unterschiedlichsten Richtungen stellen müssen, die männliche Gangster-Rapper in dieser Form nicht erfahren) als eine sexpositive Geste des Empowerment. So ist auch ihre Selbstzuschreibung als „Bitch“ zu verstehen: den ursprünglich herabwertenden Begriff definiert sie für sich neu und deutet ihn um als selbstermächtigend und unabhängig. Ferner dekonstruiert sie die Ausrede mancher Rapper, ihre Texte seien als Aussagen ihres „lyrischen Ichs“ zu verstehen und hätten mit der Wirklichkeit nichts zu tun – denn der frauenfeindliche Habitus ihrer Selbstinszenierung als Künstler durchziehe Hip Hop auch hinter den Kulissen und wird oftmals sogar von Rapperinnen internalisiert und/oder reproduziert.
Mit der interessanteste Abschnitt verhandelt die Kopftuch-Debatte – ein Thema, mit dem Şahin bestens vertraut ist, trug ihre Doktorarbeit schließlich den Titel „Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs in Deutschland“. Hier vermag sie den Durchschnittsleserinnen und –lesern noch völlig neue Facetten aufzuzeigen. Denn Kopftuch ist nicht gleich Kopftuch – abgesehen von der religiösen Signalwirkung sind die Motivationen und auch die Arten und Weisen, ein Kopftuch zu tragen, äußerst vielfältig und lassen nur wenige tatsächliche Rückschlüsse über z.B. die soziopolitische Haltung etc. der Trägerin zu. Vor allem vonseiten der Zweiten Welle des Feminismus (in welcher People of Color keine allzu große Rolle spiel(t)en) ist aber, so Şahin, die gesamte Diskussion von einer paternalistischen Befreiungshaltung geprägt, die einen echten Dialog kaum zulässt.
Zuletzt spricht Şahin noch den Hochschulbetrieb (von ihr „liebevoll“ Fuckademia genannt) an, in welchem sich ebenfalls ein traditionell geprägtes Herrschaftssystem „alter weißer Männer“ etabliert habe. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Şahins Rhetorik zwar polemisch anmuten mag, sie aber durchaus differenziert. Vielmehr möchte sie (auch unter Heranziehung eigener Anekdoten bzw. Erfahrungsberichte) darauf hinaus, dass auch an den meisten deutschen Universitäten ein patriarchalisch geprägtes Machtgefälle besteht, das z.B. Frauen, Queers und People of Color auch heute noch an vielen Stellen benachteiligt oder unsichtbar macht (so erläutert Şahin u.a. Fälle von sexueller Belästigung, die unter den Teppich gekehrt oder aufgrund von Opferschuldzuweisungen gar nicht erst öffentlich bekannt werden). Als Frau mit Migrationshintergrund, noch dazu aus dem Arbeitermilieu stammend, kann sie auch hier glaubhaft vermitteln, dass sie weiß, wovon sie spricht.
„Muslim Riot Grrrlz“
Wünschenswert wäre eine etwas sorgfältigere Aufbereitung des Textes gewesen. Da sich vieles wiederholt, hätte dem Buch ein bisschen Kürzen gutgetan, wodurch auch die Argumentationsketten in den ansonsten übersichtlich gehaltenen Themenfeldern stringenter und einprägsamer würden (lobenswert ist, dass manchen Abschnitten eine Art kleines „Manifest“ folgt, welches die Thesen der Autorin zusammenfasst). Leider ist Şahins sehr persönliche Ausdrucksweise Fluch und Segen zugleich: Sie dringt damit zweifelsohne zu ihren Leserinnen und Lesern durch, kann aber nicht mit jedem Punkt überzeugen, wo doch Feminismus, Identitätspolitik sowie Gender und Queer Studies es auf der wissenschaftlichen Bühne eh schon schwer haben. Ihrer Kritik hätte sie noch mehr theoretisch fundierte Gegenentwürfe zur Seite stellen dürfen. Positiv hervorzuheben ist allerdings, dass einige von Lady Bitch Rays Texten mit enthalten sind, die (obwohl Şahin sie mit relativ wenigen Anmerkungen füttert) eindrücklich veranschaulichen, wie ihre feministische Vorgehensweise in der Praxis aussieht.
Fazit:
Der große Pluspunkt von Yalla, Feminismus! ist die besondere Ausdrucksweise Reyhan Şahins, welche eine dem wissenschaftlichen Diskurs entstammende, eloquente Sprache mit der dem Rap verhafteten Haudrauf-Direktheit verbindet, was die Inhalte unterstreicht und ergänzt. Vor allem wird Lady Bitch Ray so auch Menschen erreichen können, die in ihrer Disziplin völlige Neulinge sind und/oder sich sonst eher wenig mit Sach- und Fachliteratur beschäftigen. Sie möchte neue Denkanstöße geben und einen Diskurs auf Augenhöhe entfachen, der ihrer Meinung nach bislang viel zu selten stattfinde. Dabei ist ein empfehlenswerter Text entstanden, der im gleichen Maße informativ, unterhaltsam und authentisch daherkommt.
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