Worte wie Pfeile

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Kathrin Walther
6101

Sachbuch-Couch Rezension vonJun 2022

Wissen

Ausstattung

Erziehung ohne Schläge ist noch lange nicht gewaltfrei

Gewalt kann viele Formen haben, doch nur wenige Menschen sind sich bewusst, wo Gewalt bereits beginnt. Anke Elisabeth Ballmann möchte dies ändern und Eltern und Pädagogen in Kitas und Schulen über dieses wichtige Thema aufklären. In ihrem Buch „Worte wie Pfeile“ macht sie daher auf den Bereich psychischer und emotionaler Gewalt aufmerksam, dessen Dimension sich viele Erwachsene gar nicht bewusst sind.

Gewaltfreies Großwerden

Im ersten Teil „Kinderseelen in Gefahr“ geht es zunächst um verschiedene Formen von Gewalt und ihre Ursprünge. Es gibt eine Übersicht über verschiedene Erziehungsstile und es wird erklärt, welche Auswirkungen eine autoritäre, antiautoritäre, autokratische, autoritative, demokratische oder auch permissive Erziehung auf Kinder und ihre Zukunft haben kann.

Im nächsten großen Abschnitt „Wege zur Gewaltfreiheit“ macht die Autorin deutlich, warum eine Erweiterung der Kinderrechte um den Aspekt gewaltfreie Kommunikation wichtig wäre, wie Kinder beispielsweise durch Bauchschmerzen, Beißen oder Wutanfälle Hilfesignale senden, wie man sie erkennt und welche langfristigen psychischen Folgen „Seelenprügel“, wie sie diese Art der Gewalt nennt, auf das gesamte Leben haben kann.

Im dritten Teil „Eine gewaltfreiere Welt für Kinder“ thematisiert sie, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Dabei geht sie darauf ein, wie sich Eltern in ihrem Umgang mit Kindern verändern müssen, dass neben der Familie auch Kitas und Schulen zu Orten der Geborgenheit und Entfaltung werden müssen, schließlich verbringen Kinder hier einen Großteil ihrer Zeit, und warum die „Mission Kinderschutz“ ein Thema ist, welches die ganze Gesellschaft angeht, die letztendlich auf vielfältige Weise von einem Erfolg dieser Mission auch profitieren würde.

Ganz zum Schluss gibt es mit „Jenseits von Bullerbü – wenn das ganze Leben emotionale Gewalt ist“ noch einen Extra-Abschnitt, der an die Verantwortung der Gemeinschaft appelliert, sich gerade um Kinder zu kümmern, deren Herkunftsfamilien nicht in der Lage sind, ein gewaltfreies Aufwachsen zu ermöglichen. Hier zeigt sie Möglichkeiten auf, wie jeder Einzelne, Institutionen und Politik für diese Kinder Verantwortung übernehmen kann.

Ein wichtiges Thema, welches uns alle angeht

Mit ihrem Buch macht Anke Elisabeth Ballmann auf ein wichtiges Thema aufmerksam, welches bisher kaum thematisiert wurde: Emotionale und psychische Gewalt an Kindern. Den meisten wird klar sein, dass Anschreien, bewusstes Niedermachen oder Bedrohen Kinder zutiefst verstören und verletzten kann und werden versuchen, es zu vermeiden. Doch auch viele gängige und weitverbreitete Erziehungskonzepte beinhalten laut Ballmann psychische Gewalt, da sie auf Machtausübung basieren.

Gemäß der Autorin findet Erziehung hierzulande in erster Linie statt, um zur erreichen, dass sich Kinder möglichst gut in unsere Gesellschaft einfügen und funktionieren:

„Kinder und ihre Bedürfnisse werden häufig als Störfaktoren wahrgenommen, und die Aufgabe der Eltern scheint es zu sein, Kinder sozialverträglich zu regulieren und aus ihnen Erwachsene zu machen, und das oft auf Kosten der Persönlichkeit des Kindes.“ Was daraus resultiert, sind „Kinder, die gelernt haben, sich dem Willen Erwachsener komplett unterzuordnen und dafür ihre eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken. Diese Art der Unterordnung kann nur erreicht werden, wenn Ältere zu Formen emotionaler und psychischer Gewalt greifen, um Jüngere für das Ausleben nicht erwünschter Gefühle (…) entsprechend zu bestrafen."

Besondere Bedeutung beim ungestörten Großwerden spielt bei ihr die Bindungstheorie, bei der die enge Bindung zu einer Bezugsperson das Kind beim Entdecken und Lernen hilft. Viel Nähe, Partizipation und Raum für Gefühle anstatt Grenzen und Regeln, die durch Strafen oder Lob gesetzt werden, sind ihr Motto, da ansonsten psychische Störungen drohen. In ihren Augen lässt sich darauf auch ein Großteil der psychischen Probleme heutiger Erwachsener zurückzuführen, die diese „klassische“ Erziehung durchlaufen haben.

Heftige Aussagen, jedoch teilweise mit zu viel Wut verfasst

Dass Anke Elisabeth Ballmann in vielen Punkten recht hat, lässt sich nicht abstreiten. Auch ist es sehr wichtig, dieses Thema in den Fokus zu rücken um dafür zu sorgen, dass Kinder in Zukunft völlig ohne jegliche Art von Gewalt aufwachsen können. Gleichzeitig ist ihr Buch jedoch sehr drastisch und emotional geschrieben und lässt viele Bereiche, die beim Großziehen von Kindern eine Rolle spielen, wie die Persönlichkeit des Kindes, außer Acht. Klar ist es schön, wenn ein Groß werden ohne erziehen klappt, das Kind seiner Natur nachkommen kann, doch bleibt das Buch flach, wenn es um konkrete Probleme geht, die daraus resultieren.

Nicht alle Kinder kommen ohne Grenzen aus, zu ihrem eigenen Schutz, ihrer Orientierung und um in Gruppen und mit anderen zurechtzukommen. Besonders für Eltern neurodiverser Kinder sind manche Aussagen ein Schlag ins Gesicht und lassen sich so auffassen, dass diese Art von Verschiedenheit nicht auf eine Erkrankung oder andere Gehirnstrukturen zurückzuführen ist, sondern an falscher Erziehung liegt. Ein hierzu verwendeter Beleg ist zudem fragwürdig und der zugehörige Text, warum ab Schuleintritt ein Anstieg der ADHS-Diagnosen stattfindet, sagt etwas anderes aus.

Fazit

Insgesamt ist „Wort wie Pfeile“ ein Buch, das aufrüttelt und für das Thema emotionale und psychische Gewalt sensibilisiert und zeigt, welchen großen Einfluss Worte auf Kinderseelen haben. Das Buch bleibt jedoch an vielen Stellen bei der Theorie und bietet keine konkreten Ideen, wie eine erziehungsfreie Kindheit mit der Gesellschaft und den heutigen Anforderungen zu vereinbaren ist. Auch Aussagen über ADHS oder Autismus als Auswirkungen von Erziehungsfehlern lassen Fragen aufkommen.

Worte wie Pfeile

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