„Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen“

  • btb
  • Erschienen: März 2021
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Carola Krauße-Reim
9101

Sachbuch-Couch Rezension vonJul 2021

Wissen

Michaela Karl nähert sich dieser ungewöhnlichen Frau behutsam, neutral und extrem detailreich. Die chronologische Aufarbeitung zeugt von ausgedehnter Recherche und fundiertem Wissen.

Ausstattung

Eine Auflistung der Werke wäre schön gewesen. Zwar sind im Anhang die Quellen unzähliger Anmerkungen erwähnt, in denen auch die von Brennan verfassten Kurzgeschichten, Kolumnen etc. genannt werden, jedoch fehlt eine gesonderte Angabe. Wunderbar sind dagegen die Fotos! Sie lassen aus dem Namen eine Person werden, die ja nicht zuletzt durch ihr Erscheinungsbild etwas ganz Besonderes war.

Detailreiche Biografie eines bizarren Lebens

Die promovierte Politikwissenschaftlerin Michaela Karl ist für ihre Biografien ungewöhnlicher Frauen bekannt. Bereits 2019 hat sie sich dem Leben der Schriftstellerin und Journalistin Maeve Brennan gewidmet. Jetzt liegt das Werk auch als Taschenbuchausgabe vor.

Ein glamouröses Leben am Abgrund

Maeve Brennan (1917-1993) ist eine in Deutschland (noch) weitgehend unbekannte Schriftstellerin. Ihre Kindheit verbrachte sie in Irland, das geprägt war durch den Unabhängigkeitskampf, dem sich auch ihre Eltern direkt und intensiv verschrieben hatten. 1934 siedelte die ganze Familie nach New York um. Meave Brennan arbeitete erst beim Modemagazin Harper‘s Bazaar, dann als Journalistin beim New Yorker. Neben ihren Artikeln und Kolumnen verfasste sie Kurzgeschichten, die großenteils erst posthum veröffentlicht wurden und sich meist um „seelisch verkrüppelte Frauenfiguren“ handeln. Sie lebte ein exzentrisches und selbstzerstörerisches Leben aus dem Koffer in unzähligen Appartements und Hotels, nur begleitet von ihren Katzen und ihrem Hund - „je nach Sichtweise wird Maeve Brennan deshalb als getrieben oder als unabhängig beschrieben“.

Wir nähern uns dem Vorbild für Holly Golightly

Maeve Brennan, stets im kleinen Schwarzen mit knallrotem Lippenstift, viel schwarzer Mascara und Beehive war schon rein optisch ein Gegenentwurf zum propagierten Frauenbild der prüden Hausfrau in der damaligen Zeit. Ihr Lebensstil tat dann den Rest um sie als „böses Mädchen“ zu brandmarken. „Maeve war eine feste Größe im New Yorker Gesellschaftsleben und auf jeder Party zu finden – solange genügend Alkohol floss“. Kein Wunder, dass sie als ein mögliches Vorbild für Truman Capotes Holly Golightly aus „Frühstück bei Tiffany“ angesehen wird. Ihr unangepasstes Leben würde heute als selbstbestimmt, aber immer noch reichlich exzentrisch gelten –

„Dass sie ihr schwer verdientes Geld mit beiden Händen ausgab, Luxus nicht abgeneigt war und stets über ihre Verhältnisse lebte, macht sie in einer Zeit wie der unseren, die auf Minimalismus, veganes Essen und Selbstoptimierung setzt, nur noch interessanter.“

Michaela Karl nähert sich dieser ungewöhnlichen Frau behutsam, neutral und extrem detailreich. Die chronologische Aufarbeitung zeugt von ausgedehnter Recherche und fundiertem Wissen. Allerdings verzettelt sich die Autorin manchmal etwas zu sehr in Einzelheiten. Teilweise scheint es, dass sie das Leben von Maeve Brennan nahezu minutiös darstellen möchte. Diese Wahrnehmung kann natürlich auch an der Beständigkeit der exzessiven Lebensführung von Brennan liegen, die, einmal begonnen, kaum Änderungen aufweist.

Doch auch die Begleiter in Brennans Leben werden oft mit allen Details vermittelt. Das beginnt mit der sehr langen (und interessanten) Beschreibung des Lebens ihrer Eltern, setzt sich dann mit den Kollegen aus Harper‘s Bazaar und dem New Yorker fort und lässt auch kurze Bekanntschaften und relativ irrelevante Begegnungen nicht aus. Hier ist das Durchhaltevermögen der Leser gefragt, denn wer nicht gerade eingefleischter Maeve-Brennan-Fan ist, dürfte sich hier vielleicht etwas schwer tun.

Kurzgeschichten waren ihr Metier

Maeve Brennan verfasste unzählige Kolumnen und Artikel und eben auch ihre Kurzgeschichten. Karl geht neben dem Leben Brennans auch sehr ausführlich auf dieses literarische Werk ein. Immer wieder gab es kurze Momente in denen es große Aufmerksamkeit erhielt, doch genauso schnell war es auch wieder vergessen.

Von ihrer Kindheit und dem Leben in Irland beeinflusst, zeigt es zwar biografische Züge, steht aber im völligen Gegensatz zum tatsächlichen Leben Brennans in New York. Karl zeigt diese Verbindungen und Diskrepanzen, bringt dem Leser die Geschichten rund um das Dubliner Ehepaar Derdon näher und verdeutlicht anschaulich die Bissigkeit in „Die Besucherin“. Das macht sie so interessant, dass es durchaus sein kann, dass man in den nächsten Buchladen läuft und Maeve Brennans Werke ordert.

Hervorragende Biografie mit ganz kleinen Mängeln

Michaela Karl hat sich schon in ihren vorhergehenden Biografen mit relativ unbekannten Frauen befasst, die aber ein überaus interessantes Leben geführt haben. Auch dieses Mal ist ihr eine eindrückliche und sehr gut geschriebene Schilderung eines außergewöhnlichen Lebens gelungen. Wenn es überhaupt Kritikpunkte gibt, ist es zum einen die teilweise sehr ausführliche Darstellung relativ nebensächlicher Charaktere oder Vorkommnisse.

Zum anderen hätte ich mir eine Kurzvita gewünscht, die eine Hilfe zur Orientierung in der detailreichen Beschreibung von Brennans Leben dargestellt hätte. Auch wäre eine Auflistung der Werke schön gewesen. Zwar sind im Anhang die Quellen unzähliger Anmerkungen erwähnt, in denen auch die von Brennan verfassten Kurzgeschichten, Kolumnen etc. genannt werden, jedoch fehlt eine gesonderte Angabe.

Wunderbar sind dagegen die Fotos! Sie lassen aus dem Namen eine Person werden, die ja nicht zuletzt durch ihr Erscheinungsbild etwas ganz Besonderes war.

Fazit

Eine längst überfällige Biografie! Michaela Karl befasst sich ausführlich und dennoch kurzweilig mit Maeve Brennan, ihrem exzentrischen Leben und ihrem literarischen Erbe, das lange genug unbeachtet war. „Ich würde so etwas nicht ohne Lippenstift lesen“ ist nicht nur für Fans von Brennan interessant, sondern für alle, die gerne außergewöhnliche Menschen kennenlernen.

„Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen“

Michaela Karl, btb

„Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen“

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