Eat, Poop, Die

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Michael Drewniok
8101

Sachbuch-Couch Rezension vonJul 2025

Wissen

Es gibt keine langweiligen oder ‚ekelhaften‘ Themen, sondern nur langweilige Bücher - Dies ist keines, weil der Autor sich voller Wissen und Begeisterung seinem ‚Stoff‘ widmet.

Ausstattung

Einige Fotos, einige Zeichnungen: Die Ausstattung ist karg, aber der Text unterstützt die Vorstellungskraft!

Glückspendender globaler Guanoregen.

Unsere Welt steckt voller Alltäglichkeiten, hinter denen sich bei näherer Betrachtung nicht selten globale Phänomene verbergen bzw. darauf warten, von unvoreingenommenen und neugierigen Menschen ent- und aufgedeckt zu werden. Die Reihenfolge der gerade genannten Adjektive ist wichtig, denn Joe Roman hat seine wissenschaftliche Arbeit dem Thema „Exkremente“ gewidmet (die er in diesem Buch in der Regel „Kacke“ nennt, um Berührungsängste zu mildern). Um dem ein Misthäubchen aufzusetzen, erweitert er sein Interessengebiet um Urin, Kadaver und Leichen, die ebenfalls in der Ökologie der Erde eine Rolle spielen.

Wer nun abspringt, bringt sich um eine nicht nur inhaltlich interessante, sogar faszinierende, sondern auch allgemeinverständliche Lektüre. Echte Forscher kennen keine Widerwärtigkeiten, sondern leuchten beherzt in die wahrlich dunklen Ecken dieser Welt - oder sie rasen auf offener See im Schlauchboot Walkot-Wolken hinterher, bevor sich diese im Wasser auflösen, um sich im Labor an ihrer Beute zu weiden! (Dass es unerfreuliche Aspekte bei dieser Arbeit gibt, wird vom Verfasser ausführlich beschrieben.)

Kot, Urin und Kadaver sind wahre Booster, denn sie enthalten, was das irdische Leben unbedingt benötigt: Stickstoff, Ammoniak und Phosphor. Eine einmalige Chance, die elementare Bedeutung einer regelmäßigen Düngung zu beweisen, bot sich, als im November 1963 vor der Südküste Islands aufsteigende Vulkanlava die Insel Surtsey formte. Dank buchstäblich durchgeglühten Steinbodens war Surtsey absolut steril - aber nicht lange. Die Forschung hält seit 1963 fest, welche Pflanzen und Tiere auf dem Wasserweg oder durch die Luft auf Surtsey eintrafen. Heute ist die Insel eine wahre Oase im kalten Nordatlantik. Den Boden dafür bereiteten jene vor, die kamen, selbst wenn sie es nicht schafften: Sie tränkten den Boden mit ihren Exkrementen oder ihren Kadavern, wobei es den Wissenschaftlern gelang festzustellen, dass dieser Dünger nicht nur bis zum letzten Krümel verbraucht wird, sondern auch eine weitaus größere Bedeutung besitzt als zuvor gedacht.

Es schneit in der Tiefsee

Diese Erkenntnis wird kontinuierlich erweitert. Inzwischen steht fest, dass auch in den Weltmeeren, Seen und Flüssen fruchtbar wirkt, was die Bewohner von sich geben. In der nährstoffarmen Tiefsee ist man auf das angewiesen, was von oben herabsinkt. Noch recht jung ist die Erkenntnis. dass Fische und Wale via Kot und Urin das Ozeanwasser für Plankton und Krill in eine Art Suppe verwandelt. Der Rückgang dieser für die Globalökologie unverzichtbaren Mikrolebewesen könnte demnach eine weitere Negativfolge von Überfischung, Umweltverschmutzung und Walfang sein.

Weitere Überraschungen stellen sich ein: Stirbt ein Wal, sinkt er auf den Tiefseegrund („Walsturz“). Dort wird er in ewiger Dunkelheit über Jahrzehnte zu einer Oase für Kreaturen, die auf einen solchen Glücksfall setzen bzw. warten und sich auf dem Kadaver ansiedeln, bis irgendwann das letzte verwertbare Molekül aus den blanken Knochen gesogen ist.

Wissen ist Macht: Je mehr die Forschung über die globale Ökologie in Erfahrung bringt, desto dichter wird das Wissen um ein Netz komplexer Verknüpfungen, die man tunlichst nicht ahnungslos und gierig durcheinanderbringen oder gar zerstören sollte. Zu Feedbacks kann es deutlich zeitverzögert und an gänzlich anderer Stelle kommen, was ‚Reparaturen‘ umso schwieriger oder sogar unmöglich macht: Wenn kackende Wale wichtig für den Nährstoffgehalt der Weltmeere sind (wofür das schöne Wort „Walpumpe“ geprägt wurde), können wir nur hoffen, dass die drastisch geschrumpften Bestände wachsen, damit sich die Fluten wieder grün, knallrot oder bräunlich färben! (Es kommt darauf an, was die Wale gefressen haben.)

Land unter ist gut

Auch auf dem Land jagen Forscher möglichst noch dampfenden Haufen hinterher. Du bist, was du isst, und das schlägt sich in dem nieder, was du unter dir lässt. Es kann ausgewertet werden und eine erstaunliche Bandbreite relevanter Informationen preisgeben! Angesichts solcher Aussichten lässt sich der Autor nicht bitten, sondern begibt sich auf Expeditionen, die ihn dorthin führen, wo möglichst viele Tiere leben, um ihnen dort mit Probeflaschen und Plastikbeuteln zu folgen.

Es verschlägt ihn in die Prärie der heimatlichen USA, wo einst Bisons zu Millionen grasten (vorn) und verdauten (hinten) und dadurch die Landschaft formten. Wie diese von den ursprünglichen Nordamerikanern geachtete und deshalb funktionstüchtige Koexistenz ausgesehen hat, kann heute dort, wo immerhin einige Tausend Bisons über die Prärie ziehen, wieder beobachtet werden.

In Afrika sind es Gnus und Flusspferde, die für gedüngte Grasflächen sorgen. Vor allem letztere verteilen ihren ohnehin dünnflüssigen Kot geradezu manisch über und unter Wasser und sorgen durch propellerartiges Wirbeln ihrer Schwänze für größtmögliche Spritzweite. Wie bei den Bisons zieht das eine lange Schleppe aus Tier- und Pflanzenarten nach sich, die von solcher Fruchtbarkeit profitieren. Diese siedeln sich dort an, wo besagte Großsäuger es krachen lassen, und sie sind nachweislich stärker und gesünder.

Keine Blähung bleibt übersehen!

Zikaden in Kansas, Mücken in Island, Heuschrecken in Afrika: Auch Insekten prägen die Landschaft, wenn sie in gewaltigen Schwärmen auftreten. Sie hinterlassen einerseits leer gefressene Flächen, die sie andererseits mit ihrem Kot und ihren Leichen düngen; wenn die erwähnten Zikaden sich gepaart haben, sterben sie und bedecken den Erdboden, aber auch Gärten oder Hausdächer zum Kummer der Anwohner mit einer zehn Zentimeter dicken, sehr toten Schicht. (Glücklicherweise geschieht dies nur alle 17 Jahre.)

Selbstverständlich lässt Roman auch den Menschen nicht unbeachtet. Mehr als acht Milliarden Individuen sorgen für eine braun-gelbe Sintflut, die sogar nützlich wäre, würde sie verteilt, statt durch ausgeklügelte Abwassersysteme in Kläranlagen abgeleitet zu werden. Es gäbe alternative, ökologische Methoden - Urin wird in Kanistern gesammelt und darf gären, bis er seine optimale Fruchtbarkeit erreicht hat; für Kot gibt es Komposttoiletten -, über die der Autor jedoch nur aus zweiter Hand berichten kann, weil ihm seine Familie Feldversuche daheim verbot und jegliche Mitwirkung (zwecks Erweiterung der Datenbasis) strikt verweigerte.

Roman macht uns vertraut mit der Bristol-Stuhlformen-Skala, die menschlichen Kot in sieben Formstufen (von 1: harte Verstopfung bis 7: flüssiger Durchfall) unterscheidet, und konfrontiert uns mit dem faszinierenden Fakt, dass praktisch alle Säugetiere ungeachtet ihrer Größe den Stuhlgang binnen zwölf Sekunden hinter bzw. unter sich bringen. Er schließt seinen Streifzug durch die Welt der Exkremente und Kadaver mit einem flammenden, sich über viele Seiten erstreckenden Appell, die Welt wieder in einen Ort zu verwandeln, an dem möglichst ausgiebig gekackt, gepinkelt und gestorben wird. Dass Roman diese Forderung logisch begründen kann, rundet dieses unterhaltsam geschriebene, aber inhaltlich durchaus in die Tiefe gehende Buch ab.

Fazit

Kot, Urin und Leichen als Schmiermittel einer globalen Ökologie? Diese zunächst abenteuerliche bzw. absurde These wird vom Verfasser plausibel (und ohne naheliegenden Plattwitz) begründet und öffnet den Blick auf einen Funktionsbereich unserer Erde, der kein Geheimnis bleiben sollte.

Eat, Poop, Die

Joe Roman, hanserblau

Eat, Poop, Die

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