Atlas der ausgestorbenen Länder

Atlas der ausgestorbenen Länder
Atlas der ausgestorbenen Länder
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Carola Krauße-Reim
5101

Sachbuch-Couch Rezension vonMär 2022

Wissen

Informationen wurden gut recherchiert und zeigen die unterschiedlichen, teils kuriosen Gründe für das Sterben eines Staates

Ausstattung

Ein wohl als witzig-lässig gewollter Stil geht in Kraftausdrücken und wenig aussagekräftigen Sätzen unter, was dem Thema nicht angemessen erscheint

Und plötzlich waren sie weg

Gideon Defoe hat sich schon in vielen Metiers probiert, bevor er als Schriftsteller mit der Satire „Piraten – Ein Affentheater auf hoher See“ Erfolg hatte. Danach widmete er sich in seiner ganz eigenen Art dem Sexleben der Tiere und jetzt dem Dahinscheiden von 48 Ländern, die plötzlich von der Landkarte verschwunden waren.

„Nachrufe auf Nationen, die von der Landkarte gerutscht sind“

In vier Kapiteln stellt Defoe 48 Länder vor, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr existieren. In den kurzen Porträts von jeweils nur wenigen Seiten skizziert er den Staat zuerst durch einen Steckbrief, der Informationen zur „Einwohnerzahl“, “Hauptstadt“, “Sprachen“, „Währung“, „Todesursache“, „heute“ und geografische Lokalisierung gibt, bevor er auf die Gründe des Aussterbens eingeht. Diese reichen von tragisch bis extrem kurios.

Dabei berücksichtigt er ebenso wenig „antike Orte“, wie Staaten, die lediglich ihren Namen geändert haben. Bei den Positionsangaben beruft er sich auf das Geokodierungssystem „what3words“, das statt Längen- und Breitengraden drei zufällig ausgewählte Wörter zur Lokalisierung benutzt. Und hier beginnen schon die Schwierigkeiten, die ich mit diesem Buch habe – Längen- und Breitengrade lassen zumindest eine ungefähre sofortige Lokalisierung des Ex-Staates zu, während z.B. „compound.melons.orchestra“ oder „situated.displaying.indecision“ ohne Recherche am Computer wenig aussagekräftig sind.

Auch Defoes eigenwillige Definition von „Staat“ als „bescheuerte Geschichte“ ist nicht wissenschaftlich, noch nicht einmal populärwissenschaftlich zu bezeichnen, zeigt aber den Ton, in dem die Porträts gehalten sind und der mich gelinde gesagt geschockt hat.

Viel Wissen in viel zu schnodderigem Stil

Wenn man 48 Länder ausgräbt, die auf ganz unterschiedliche und meist kuriose Weise von der Landkarte verschwunden sind, muss man zwangsläufig einiges an Recherchearbeit geleistet haben. Und die hat Defoe eindeutig hinter sich gebracht, was man auch an der „Auswahlbibliografie“ am Ende des Buches erkennt.

Jedoch hat er sein Wissen in einen Stil verpackt, der wohl lässig-witzig sein soll, aber dem Thema in keiner Weise gerecht wird und mich spätestens nach dem dritten Porträt nur noch abgeschreckt hat. Wenn Personen z.B. als „Arschgeigen“, „Mistkerle“, „Dämlacke“ oder „gottverdammt“ bezeichnet werden, hat das mit sachlichem Stil nichts mehr zu tun. Und diese Entgleisungen bilden keine Ausnahme; egal welche Seite des Buches man aufschlägt, fast immer muss man mit Bemerkungen, wie „von Nixen gefickt“ oder wenig aussagekräftigen Sätzen, wie „er [Napoleon] aß eine Menge Kekse und spielte mit Mutti Karten“ oder „guckt euch doch mal die Republik Cospaia an, die hat 400 Jahre ohne Regierung überlebt. Da sehe ich nicht ein, dass ich mein Zimmer aufräumen soll“ zurechtkommen.

Das Porträt „Die Deutsche Demokratische Republik“ beginnt er mit „Bis heute stehen sich zwei unvereinbare Glaubenssysteme gegenüber: Manchen Leuten zufolge war es David Bowie, der den Fall der Mauer herbeiführte, andere schwören, es sei David Hasselhoff gewesen“. Wenn man bereit ist, diesen Stil zu tolerieren oder zumindest über diese Stellen hinweg zu lesen, kann man zwar noch einiges an Informationen erlangen und bestimmt so manches Neue erfahren, doch mit populärwissenschaftlicher oder gar sachlich wissenschaftlicher Präsentation hat das nichts mehr zu tun. Das sehr interessante und im Moment zwangsläufig auch sehr brisante Thema wird damit banalisiert und die Menschen, die in einem sterbenden Staat lebten, scheinen von Defoe wenig respektiert zu werden.

Fazit

Ein spannendes Thema wurde durch schlechten Schreibstil mit Schwung in den Sand gesetzt. Leider geht der durchaus bestehende Informationsgehalt in Kraftausdrücken und wenig sachlichen Sätzen fast vollständig unter und trotzdem sollte man dem Buch eine Chance geben, denn die 48 „verstorbenen“ Länder haben es verdient nicht in Vergessenheit zu geraten.

Atlas der ausgestorbenen Länder

Gideon Defoe, Joy Gosney, Knesebeck

Atlas der ausgestorbenen Länder

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