Arnheim

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Andreas Kurth
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Sachbuch-Couch Rezension vonFeb 2020

Wissen

Wer an Militärgeschichte und vor allem auch an vielen Episoden und Fakten zugleich interessiert ist, wird bei Antony Beevor bestens bedient, denn der Brite zählt in meinen Augen zur Spitzengruppe der erzählenden Geschichtsforscher.

Ausstattung

Neben der inhaltlichen und erzählerischen Brillanz ist bei den Büchern von Antony Beevor immer wieder die Ausstattung mit Fotos, Karten und sonstigen Informationen überzeugend. Der Leser sieht deutsche und alliierte Soldaten, etliche Kommandeure beider Seiten, niederländische Zivilisten, und Luftbilder wichtiger Punkte der Schlacht.

Wie Ehrgeiz und Arroganz sinnlos Menschenleben kosten können

Im Zweiten Weltkrieg gab es etliche Schlachten, die Historiker genauer analysiert und beschrieben haben, weil sie entweder in irgendeiner Weise faszinierend oder wichtig für den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung waren. Oder es handelte sich um spektakuläre Erfolge oder Fehlschläge. Und so hat Antony Beevor, einer der Literaten unter den englischen Historikern, etliche Bücher zu speziellen Momenten dieses Krieges geschrieben. Begonnen hat er mit “Stalingrad”, einem dramatischen Desaster der deutschen Wehrmacht. Bekannt ist auch sein Werk über den “D-Day”, die spektakuläre Landung der Alliierten in der Normandie, dem er das umfassende Buch ”Der zweite Weltkrieg” folgen ließ. Nach “Die Ardennen-Offensive” über die größenwahnsinnige Attacke der Deutschen an der Westfront im Winter 1944 nun also “Arnheim”. Dabei geht es um einen der spektakulärsten Fehlschläge der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, dessen multiple Ursachen Beevor in der ihm eigenen akribischen Art analysiert und ausführlich beschreibt.

Der Wettlauf zum Rhein trägt zuweilen infantile Züge

Der Ausgangspunkt von Operation Market Garden, so wurde der Angriff bei den Alliierten genannt, war der brennende Ehrgeiz und die geradezu groteske Selbstüberschätzung von Feldmarschall Bernard Montgomery. Monty, wie er nur genannt wurde, wollte unbedingt den entscheidenden Angriff auf Deutschland kommandieren, und mit seinen Truppen als erster den Rhein überschreiten, um tief in das industrielle Herz des Deutschen Reiches vorzustoßen. Dazu waren ihm nahezu alle Ideen und jedes Mittel recht.

Beevor beginnt seine Schilderung allerdings deutlich früher. “Die Jagd ist eröffnet”, so heißt sein erstes Kapitel. Er schildert darin, wie nach der Schlacht um die Normandie die britischen und amerikanischen Kommandeure darum wetteiferten, wer mit seinen Panzern zuerst über die Seine, zur belgischen Grenze, nach Holland hinein, oder an die deutsche Grenze und dann gar über den Rhein rollen würde. Dieser sportlich gemeinte, allerdings zuweilen durchaus auch infantile Wettlauf führte zu Streit um Ressourcen wie Treibstoff, Material und natürlich auch Männer.

Die schlimmsten Hitzköpfe waren dabei der amerikanische General George Patton, Befehlshaber der 1. US Army, und eben der Brite Montgomery, Kommandeur der 2. British Army. Ihr interner Wettstreit nahm zuweilen groteske Ausmaße an, war vom alliierten Oberkommandeur Eisenhower kaum zu kontrollieren, und führte schließlich dazu, dass der britische Feldmarschall einen geradezu wahnwitzigen Plan ausarbeiten ließ, um im Norden der Niederlande mit seinen Einheiten als Erster den Übergang über den Niederrhein zu erzwingen.

Mehrere Brücken über wichtige Gewässer sollten erobert werden

Damit wollte Montgomery die Einheiten von Patton überflügeln, der vor dem Durchbruch zwischen Aachen und Luxemburg stand. Er ließ einen Plan ausarbeiten, um in einer Kombination aus Luftlandemanöver und dem Vorstoß von Panzereinheiten mehrere Brücken über wichtige Gewässer in die Hand der Alliierten zu bringen. Ausgangspunkt war der Maas-Schelde-Kanal, Ziel die Brücke über den Rhein in Arnheim. Damit wäre der Weg nach Osten, in das Herz des Ruhrgebiets, frei gewesen. Das war Montgomerys großes Ziel.

Beevor schildert die Diskussionen in den Stäben, die Planungen, bei denen sich nie die Vorsicht durchsetzte, sondern immer der Wunsch, dem großen Ziel zu dienen. Der Autor macht deutlich, wie überehrgeizig die Pläne der Briten waren, die ihnen unterstellten amerikanischen Einheiten wurden in die Operation einfach hineingezogen. Es gibt unter Historikern wohl unterschiedliche Auffassungen, ob es hätte gelingen können, mehrere wichtige Brücken durch Fallschirmjäger erobern zu lassen, die dann von den schnell vorrückenden Panzereinheiten entlastet worden wären. Die Haltung von Antony Beevor dazu ist eindeutig, in seinen Augen konnte Market Garden nur in einem Desaster enden.

Beim Absprung der Fallschirmjäger passierten die ersten Pannen

Die Fehlerkette dabei ist lang, und wird von ihm eingehend geschildert. Es begann mit falschen und zum Teil eben zu ehrgeizigen Planungen. Es wurde darauf gesetzt, dass bei der Durchführung der Operation ideale Bedingungen herrschen würden, was dann eben nicht der Fall war. Nach dem Start des Angriffs schildert Antony Beevor tageweise, wie sich die Schlacht um die Bücken entwickelt hat.

Schon beim Absprung der Fallschirmjäger passierten die ersten Pannen. Landezonen wurden verfehlt, der Überraschungsmoment ging verloren. Durch schlechtes Wetter konnte die zweite Welle später folgen als geplant. Der Abwurf von Nachschub erwies sich als großes Problem, durch schlechte Sicht konnte gar nicht geflogen werden, oder die Nachschub-Pakete landeten bei den Deutschen. Der Vormarsch am Boden lief nicht annähernd so, wie er sollte. Die eine Straße, auf der die Panzer vorrücken sollten, wurde schnell zum Ziel deutscher Gegenangriffe. Und so nahm das Debakel seinen Lauf. Die Krönung war am Ende die Behauptung von Montgomery, Operation Market Garden sei gescheitert, weil man ihn nicht genug unterstützt habe.

Zusatzinformationen sind umfangreich und perfekt gegliedert

Neben der inhaltlichen und erzählerischen Brillanz ist bei den Büchern von Antony Beevor immer wieder die Ausstattung mit Fotos, Karten und sonstigen Informationen überzeugend. Der Leser sieht deutsche und alliierte Soldaten, etliche Kommandeure beider Seiten, niederländische Zivilisten, und Luftbilder wichtiger Punkte der Schlacht. Ein Kartenverzeichnis, eine Erklärung der militärischen Symbole, eine Tabelle der Dienstgrade von US und britischer Army, sowie von Wehrmacht und Waffen-SS runden den mehr als umfangreichen Anmerkungsteil ab. Mit seinen Fußnoten wird Antony Beevor in meinen Augen auch wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht, gleichzeitig hält er seinen Text aber so schlank und lesbar, dass die Lektüre wie immer eine wahre Freude ist.

Fazit:

Es gibt so einige Historiker, die es ausgezeichnet verstehen, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse so zu erzählen, dass daraus ein fesselndes Leseerlebnis wird. Wer an Militärgeschichte und vor allem auch an vielen Episoden und Fakten zugleich interessiert ist, wird bei Antony Beevor bestens bedient, denn der Brite zählt in meinen Augen zur Spitzengruppe der erzählenden Geschichtsforscher. “Arnheim - Der Kampf um die Brücken über den Rhein” reiht sich perfekt ein in die beeindruckenden Werke von Beevor. Die Entstehungsgeschichte und die Hintergründe von Operation Market Garden werden hier ebenso geschildert, wie die tragischen Fehleinschätzungen und falschen Entscheidungen, die neben unglücklichen äußeren Umständen zum sinnlosen Verlust so vieler Menschenleben führten. Dazu gehört auch der für die niederländische Bevölkerung folgende Hungerwinter, den zahlreiche Zivilisten nicht überlebten. Es ist keine fröhliche Lektüre, aber Beevor fesselt seine Leser auch mit der ihm so eigenen Mischung aus Tragik und humorvollen Zwischentönen.

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