Armageddon

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Michael Drewniok
9101

Sachbuch-Couch Rezension vonMär 2023

Wissen

Das komplexe Thema einer buchstäblich vielschichtigen Ausgrabung wird anschaulich zusammengefasst bzw. dargestellt.

Ausstattung

Das Layout ist schlicht, doch die wenigen Fotos illustrieren, was der Text allein manchmal nicht deutlich machen kann.

Sie gruben und sie zankten sich.

Die Archäologie rückt vor allem - und meist nur - ins Zentrum des allgemeinen Interesses, wenn Relikte einer Vergangenheit entdeckt und geborgen werden, die integraler Bestandteil einer Weltgeschichte sind und auch Laien etwas sagen oder bedeuten. Megiddo in Palästina, heute Teil des nördlichen Israel, erfüllt diese Bedingung, denn als „Armageddon“ wurde diese Stadt nicht nur mehrfach in der Bibel erwähnt, sondern auch explizit als Stätte genannt, an der einst die (zweit-) letzte Schlacht zwischen Gut und Böse stattfinden soll, bevor die Welt ihr Ende finden und das Jüngste Gericht anstehen wird.

Unabhängig davon war Megiddo ein Ort, an dem reale Geschichte geschrieben wurde. Schon in der Jungsteinzeit siedelten hier Menschen. Sie blieben viele Jahrtausende und nahmen aktiv am Aufstieg des Reiches Israel teil, kämpften gegen die Ägypter, Neuassyrer, Neubabylonier und Perser, wurden Zeugen und Opfer griechischer, römischer, muslimischer, mongolischer Invasionen. In jüngster Vergangenheit war die Region Schauplatz jener Konflikte, die 1948 im Israelischen Unabhängigkeitskrieg gipfelten.

Deutsche Wissenschaftler suchten Anfang des 20. Jahrhunderts zuerst nach den Spuren der Vergangenheit. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre setzten mehrere US-amerikanische Teams die archäologische Arbeit fort, bis sie den Wirren des Zweiten Weltkriegs weichen mussten. Später folgten weitere Ausgrabungskampagnen, doch im vorgestellten Buch stehen die Vor-Ort-Forschungen der Jahre 1925 bis 1939 im Mittelpunkt. Sie gelten noch heute als wegweisend, weshalb Eric H. Cline, Direktor des Archäologischen Instituts an der George-Washington-Universität, sie neu aufleben lassen und einem interessierten Publikum vorstellen wollte.

Wissenschaft und Mensch - ein kompliziertes Verhältnis

Ursprünglich plante er eine Darstellung der Grabungen und der daraus resultierenden Ergebnisse. Doch als er die zeitgenössischen Unterlagen sichtete, stieß er auf eine faszinierende Parallel-Geschichte: Die Megiddo-Forschung war kein Triumph unermüdlicher Wissenschaftler, sondern ein von Pannen, Katastrophen und menschlichem Fehlverhalten geprägtes Unternehmen. Dieser Aspekt hatte nie seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden, sondern setzte in diversen Archiven Staub an.

Cline erkannte, dass eine Aufarbeitung dieser Auseinandersetzungen einen zusätzlichen Blick auf die Arbeit von Wissenschaftlern ermöglicht. Normalerweise bleiben die alltäglichen Probleme außen vor, wenn die Ergebnisse oft jahrelanger Forschungen präsentiert werden. Wie dieser Rezensent, der selbst an Ausgrabungen teilgenommen hat, bestätigen kann, kommt es leicht zum Streit. Es ist oft heiß oder regnerisch, stets sind Zeit und Mittel knapp, viel Erde muss bewegt werden. Personen sind über längere Zeit eng zusammen; sie mögen sich oder eben nicht. Explosionen sind vorgezeichnet, zumal ungeduldige, meist in fernen, klimatisierten Büros sitzende Vorgesetzte und Geldgeber auf Ergebnisse pochen, mit denen sie sich in den Medien spreizen können.

Megiddo war ein echter Höllenpfuhl, was nicht nur an der Zivilisationsferne dieses Ortes liegt, der unerträgliche Sommerhitze, ausgiebige Regenfälle und daraus resultierende Sümpfe bot, in denen Malaria-Mücken brüteten. Die Wissenschaftler - oft erstmals so weit außerhalb der Vereinigten Staaten - mussten sich einen Stützpunkt schaffen, an dem sie arbeiten und leben konnten, während sie in Megiddo tätig waren. Hinzu kamen Spannungen, die sich gewalttätig entluden, als die Briten in ihrem Mandat Palästina die Ansiedlung von Juden gestatteten, woraus schließlich der Staat Israel entstand.

Die Tücke des Objekts - und der Kollegen

Während er in den geradzahligen Kapitel auf die Grabung an sich schaut, d. h. beschreibt, wie und wo Spaten und Hacke angesetzt wurden, was dabei zu Tage kam und wie man es interpretierte, ist Cline in den Kapiteln mit ungerader Zahl quasi im Grabungshaus von Megiddo oder in der Institutszentrale zu Chicago anwesend. Dort behält er die sich rasch verändernde Schar der Archäologen bzw. ihrer Vorgesetzten im Auge. Diese komplexe Fernbeziehung war in einer Ära ohne Telefon (oder gar eMail) eine Herausforderung, zumal an beiden Enden dieses langen Seils impulsive Individuen zerrten.

Vor Ort ging es direkt zur Sache. Cline beschreibt diese Turbulenzen keineswegs, um die schmutzige Wäsche von Menschen zu waschen, die sich dagegen nicht mehr wehren können. Ihm geht es um die beispielhafte Schilderung eines Unternehmens, das trotz einer wahren Lawine oft existenzieller Schwierigkeiten eine wissenschaftliche Großtat wurde. Dabei stellt er fest, dass auch - und gerade - Forscher ‚nur‘ Menschen sind - keine spektakuläre Erkenntnis, jedoch eine, die gern einer hagiografischen Überhöhung weicht, wenn Funde und Finder „für die Geschichtsbücher“ in Szene gesetzt werden.

Doch so war (und ist) es nicht. Dass in Megiddo mancher überforderter Forscher trank oder frustriert der staubigen Stätte fernblieb, ist verständlich. Grabungsleiter und Mitarbeiter wurden gefeuert, selten fähige Nachfolger gefunden. Einige schnappten buchstäblich über, erlagen dem Stress und dem Streit mit den Kollegen. Die ihre Gatten begleitenden Frauen langweilten sich, weil man sie nicht mittun lassen wollte, obwohl sie es konnten und wollten. (Erst als die Finanzdecke zu reißen begann, kamen sie als Archivarinnen, Zeichnerinnen etc. mit ins Boot; dazu Grabungsleiter Guy 1933: „Die Damen sind bereits ganz eifrig an der Arbeit. Ich kann gar nicht fassen, dass ich erst diesen Herbst verstanden habe, warum eine Frau nicht den ganzen Tag in ihrem Zimmer sitzen und nichts tun will.“ [S. 198])

Die Arbeit geht weiter

Da man in dieser streng analogen Epoche und an diesem unwirtlichen Ort Briefe schreiben musste, konnte Cline auf einen reichen Schatz einschlägiger Dokumente zurückgreifen. Nicht jedes Detail war zu klären, aber ‚inoffiziell‘ wurden die Beteiligten gern deutlich. Auf diese Weise gewinnt eine Situation, die sich uns in der Regel über vergilbte Schwarzweiß-Fotos ‚enthüllt‘, Anschaulichkeit und Leben: Die steif vor der Kameralinse posierenden Männer und Frauen - gut ausgewählte Bilder lockern dieses Buch auf - waren sehr lebendige Menschen!

Sie müssen sich von Cline nicht an den Pranger gestellt fühlen (obwohl sie dies vermutlich anders sähen). Stattdessen sorgt die Verschränkung von ‚Beruflichem‘ und ‚Privatem‘, dass die Grabungen in Megiddo eine neue Dimension erfahren: Das Bild rundet sich ab, wodurch manche Fragen beantwortet werden können: Warum ging man so unsystematisch vor? Wieso wurden die Ergebnisse so spät veröffentlicht? Aus welchem Grund klammerten sämtliche Autoren den langjährigen Grabungsleiter Guy in diesen Werken so sorgfältig aus?

Cline kann sich auch deshalb so gut in die zeitgenössische Situation hineindenken, weil er selbst viele Jahre in Megiddo tätig war. Er lässt die Historie hinter sich, wenn er beschreibt, wie sich die Archäologie in ihren Methoden und Interpretationsansätzen verändert hat. Viele ‚Fehler‘ der Altvorderen entpuppen sich als Beschränkungen ihrer Zeit: Sie konnten es oft gar nicht besser wissen! Auch deshalb muss sich Cline keine Skandalträchtigkeit vorwerfen lassen. Zum Informations- und Unterhaltungswert - eine Doppelung, die im angelsächsischen Sprachraum seit jeher nicht verpönt ist - trägt sicherlich auch ein Stil jenseits ‚wissenschaftlicher‘ Staubigkeit bei.

Fazit

Interessanter Blick hinter die Kulissen einer berühmten archäologischen Ausgrabung. Der Turbulenz meist zwischenmenschlicher Konflikte werden die Ergebnisse dieser Arbeit gegenübergestellt. Die Kombination ermöglicht den Blick auf die Archäologie als erstaunlich ‚lebendige‘ Wissenschaft: ein nicht grundlos gelobtes Sachbuch!

 

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