Alles geben

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Thomas Gisbertz
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Sachbuch-Couch Rezension vonJul 2022

Die Suche nach dem Sinn im Leben

Neven Subotic, geboren 1988 in Jugoslawien, mit 11 Jahren Flucht vor dem nahenden Bürgerkrieg nach Deutschland, 1999 Auswanderung mit der Familie in die USA, um einer drohenden Abschiebung zu entgehen. 2006 entdeckt Jürgen Klopp den Verteidiger und macht ihn beim FSV Mainz 05 zum Zweitligaprofi. Später wechselt er zusammen mit dem Erfolgstrainer zum BVB nach Dortmund. Dort wird er zwei Mal Deutscher Fußballmeister und gewinnt einmal den DFB-Pokal.

Subotić verdient gut und lebt ein Leben auf der Überholspur. Aber dem Menschen Neven kommen zunehmend Zweifel. Er kann sich mit dem System Fußball und der Erfolgsmaximierung irgendwann nicht mehr identifizieren. Der Profisportler erlebt sich selber nur als Figur, nicht wirklich und schon gar nicht menschlich. Seinen Erfolg empfindet Subotić als surreal. Nächte des Rauschs, schnelle Autos, ein riesiges Haus mit Jacuzzi. Er scheint in einer Parallelwelt, einer Blase zu leben. Während er Karriere macht, vergisst er aber einen Menschen vollkommen - nämlich sich selbst. Dabei stellt er sich die immer gleichen Fragen: Was möchtest du eigentlich? Wer möchtest du sein? Was soll dein Beitrag zur Gesellschaft sein? Subotić spürt, dass er handeln muss und trifft mit 23 Jahren eine bemerkenswerte Entscheidung.

Außergewöhnliche Einstellung

Soziales Engagement: Das ist das, was man von Prominenten und Besserverdienern erwartet. Im Bereich des Profifußballs gehört es dazu, dass die Vereine - besonders in der Vorweihnachtszeit - soziale Einrichtungen, Kinderkliniken oder Förderschulen besuchen, um damit ihre gesellschaftliche Verantwortung zum Ausdruck zu bringen. Meist geschieht dies recht medienwirksam. Auch Subotić ist zunächst ein Teil davon.

Doch er sieht sein Engagement nicht als Pflichtaufgabe an, wie dies andere Fußballer vielleicht machen. So besucht Subotić regelmäßig ein Kinderheim in Mainz - aber nicht, wie es bei einer Fußballpatenschaft üblich ist - alle drei Monate, sondern er ist wöchentlich für die Kinder da. Später engagiert er sich in Dortmund als Botschafter für den Verein „Kinderlachen“. Dennoch spürt er, dass ihm dies nicht genügt, da er zu wenige Menschen erreicht. Gleichzeitig verliert für ihn das Besitzen und Haben immer mehr an Wert. Subotić lebt im Überfluss und erkennt dies. Aber was ist das, wovon er absolut überzeugt ist?

„Es war, als hätte ich mich in einem komplett weißen Raum gestellt und müsste Farbe nehmen; beginnen, den Raum zu bepinseln. Ich wusste aber nicht, was genau entstehen sollte, alles war blank“

so Subotić rückblickend. Er sucht weiter, bis ihn ein Vertrauter auf eine Idee bringt: eine Stiftung zu gründen. Da er kein „Stiftungsexperte“ ist, informiert sich der Profi zwischen Training und Spiel in seiner Freizeit, googelt, liest Bücher, tauscht sich aus.  Und er muss sich entscheiden, welchen der Millionen Probleme weltweit er sich stellen will. Letztendlich entscheidet er sich dazu, 2012 die „Neven Subotić Stiftung“ zu gründen, die Sanitäranlagen- und Brunnenbauprojekte in Äthiopien durchführt. Seit Juli 2021 sind mit Kenia und Tansania zwei neue Projektländer dazugekommen. Ein mutiger Schritt, dem Unrecht in der Welt entgegenzutreten.

Keine Fußballerbiografie

Man muss kein Fußballexperte sein, um das Buch „Alles geben. Warum der Weg zu einer gerechteren Welt bei uns selbst anfängt“, das Neven Subotić in Zusammenarbeit mit der Journalistin Sonja Hartwig geschrieben hat, interessant und lesenswert zu finden. Auch wenn etwa die Hälfte des Buches Subotićs Werdegang und seinem Leben als Fußballer gewidmet ist, geht es nicht darum, den Karriereweg eines Bundesligaspielers in eindrucksvoller Weise darzustellen. Vielmehr wird deutlich, was den jungen Neven als Kind und später als junger Erwachsener prägte und warum er diesen ungewöhnlichen und gleichzeitig beeindruckenden Lebensweg wählte.

Im Mittelpunkt steht nie der Fußballer Subotić, sondern vielmehr der Mensch Neven, der in einer bemerkenswerten Art über sich und sein Handeln nachdenkt. Subotić ist ein Suchender, der erkannt hat, dass er anderen helfen möchte und der gleichzeitig ein Luxusleben für sich ablehnt. Das, was Subotić so besonders macht, drückt ein Zitat des US-amerikanischen Kultautors David Foster Wallace (dessen Rede vor einer College-Abschlussklasse Subotić stark geprägt hat) auf klare Weise aus:

„Die wirklich wichtige Freiheit erfordert Aufmerksamkeit, und Offenheit und Disziplin und Mühe und die Empathie, andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag.“

Nichts könnte das Engagement und die Einstellung Subotićs besser beschreiben. Das Buch ist ein Plädoyer für mehr Achtsamkeit und Gerechtigkeit in der Welt, für die der ehemalige Fußballer eintritt.

Fazit

Subotić ist kein außergewöhnlich guter Erzähler oder Literat. Darum geht es in diesem Buch auch nicht. Er erzählt davon, wie er vom Fußballmillionär zum gesellschaftspolitischen Menschen wurde. Neven Subotić ist sicher ein außergewöhnlicher Fußballer, aber vor allem ist er ein bemerkenswerter Mensch, der die Ungerechtigkeit in der Welt als Aufgabe und Herausforderung annimmt und versucht, diese Welt gerechter zu machen. Gerne darf man sich Neven Subotić zum Vorbild nehmen.

Alles geben

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