Dr. Simone Janßen / Niklas Hobacher

06.2020 Interview zu „Die Reenergize-Formel“ von Dr. Simone Janßen und Niklas Hobacher.

Erst als ein Burnout mich ins Straucheln brachte, habe ich angefangen, in mich hineinzuhören und meine trendigen Strategien zu hinterfragen.

Sachbuch-Couch.de:
Ein zentrales Argument in „Die Reenergize-Formel“ ist, dass sich unser Lebensstil von der Umwelt und der menschlichen Natur entfremdet habe. Abgesehen von den Spielräumen des Einzelnen – glauben Sie, dass wir diese Entwicklung als Gesellschaft noch wandeln können?

Niklas Hobacher:
Ich glaube, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eher noch beschleunigen wird. Rein technisch gesehen gäbe es ja heute schon vielfache Möglichkeiten, um uns aus unserer eigenen Natur förmlich hinauszukatapultieren: angefangen bei RFID-Chips, die unter die Haut implementiert werden, bis hin zu künstlichen Hightech-Organen. Natürlich ist einiges davon medizinisch gesehen sinnvoll und gut, aber unsere evolutionären Wurzeln gehen dadurch mehr und mehr verloren. Ganz abgesehen von den ethischen Fragen, die eine solche Entwicklung mit sich bringt.

Simone Janßen:
Die Entfremdung von der menschlichen Natur gesellschaftlich noch zu wandeln, halte ich für ausgesprochen schwierig. Alle Optimierungsmaßnahmen gehen ja im Moment in Richtung „viel-mehr-in-kürzerer-Zeit“ und das ist nicht mit dem natürlichen Ursprung vereinbar. Aber wer weiß – vielleicht müssen auch nur genug Menschen ihre individuellen Spielräume neu ausloten, um daraus eine gesellschaftliche Bewegung entstehen zu lassen. Oder wir schaffen es, aus einer schweren Krise alternative Wege zu generieren. Aktuell stellt Corona die Welt auf den Kopf und ich habe durchaus die Hoffnung, dass die Gesellschaft als Ganzes beginnt, umzudenken und zum Beispiel flexiblere Arbeitszeiten und -bedingungen als positiver Nebeneffekt aus der Krise entstehen.

Wir fühlen uns von der gegenwärtigen Informationsflut schlichtweg überfordert und erschlagen, besonders in gesundheitlichen Fragen.

Sachbuch-Couch.de:
Mein Eindruck ist, dass viele Menschen eher einseitigen Lifestyle- und Ernährungstrends folgen, anstatt ganzheitlich an ihre Bedürfnisse zu denken. Wie sehen Sie das, und weshalb könnte das so sein?

Simone Janßen:
Einseitige Trends sind unglaublich im Trend, da gebe ich Ihnen mehr als recht! Das liegt vermutlich daran, dass sie meist auch einfach sind: einfach zu erklären und einfach zu verfolgen. In einer Welt, die immer komplexer wird, bietet dies einen unglaublichen Reiz. Die eigenen Bedürfnisse nimmt man wohl erst wahr, wenn man die gesellschaftliche Geschwindigkeit nicht mehr halten kann. Bei mir war das übrigens auch nicht anders: Erst als ein Burnout mich ins Straucheln brachte, habe ich angefangen, in mich hineinzuhören und meine trendigen Strategien zu hinterfragen.

Niklas Hobacher:
Wir fühlen uns von der gegenwärtigen Informationsflut schlichtweg überfordert und erschlagen, besonders in gesundheitlichen Fragen. Im Dickicht dieses Wissens und Unwissens haben wir unsere eigenen Bedürfnisse vergessen und klammern uns an einfache und einseitige Lösungen. Das geht mir selbst genauso und hat wahrscheinlich auch maßgeblich dazu beigetragen, dieses Buch zu schreiben. Letztendlich war es auch bei mir ein Burnout, dass mich dazu zwang, meine eigenen Bedürfnisse sozusagen wieder auszugraben. Jetzt wo ich so darüber nachdenke, hätten wir uns, also Simone und ich, ohne unsere Burnouts gar nicht kennenlernen und dieses Buch schreiben können. Was uns wieder darauf zurück bringt, dass letztendlich in jeder Krise – egal ob individuell oder kollektiv – eine Chance auf Umdenken und Veränderung steckt.

Sachbuch-Couch.de:
Was raten Sie Lesern, die das Streben nach einem gesünderen Alltag als zusätzlichen "Selbstoptimierungsdruck" empfinden?

Simone Janßen:
Druck sorgt bei mir sofort dafür, dass ich etwas nicht mache – oder dass ich mich zumindest nicht gut dabei fühle. Das halte ich jedoch für einen ganz wichtigen Faktor. Wenn Sie sich mit einer Strategie nicht gut fühlen, kostet es Energie, diese weiter zu verfolgen. Wenn sich alles in Ihnen sträubt, ist der Weg falsch. Aber wenn Sie einfach nur keine Lust haben, dann machen Sie kleine Schritte und tricksen sich selbst aus: Bieten Sie Ihrem Körper Alternativen an und halten Sie diese gerade lang genug durch, bis Ihr Körper sich eine Meinung dazu gebildet hat. Sagen Sie sich: „Ich probiere das nur heute und morgen“. Das ist ein überschaubarer Zeitraum. Und übermorgen sagen Sie sich das gleiche wieder. Und auf einmal haben Sie 10-14 Tage rum und Ihr Körper beginnt, sich seine Meinung zu bilden. Findet er es gut, machen Sie ganz von allein weiter. Ohne Druck.  

Sachbuch-Couch.de:
Hat sich Ihre Einstellung zu Gesundheit und Lebenswandel durch die Corona-Krise nochmals verändert? Würden Sie dem Buch angesichts der Pandemie noch etwas hinzufügen?

Simone Janßen:
Wir hatten ursprünglich den Plan, auch ein Kapitel über den Wandel der sozialen Strukturen zu schreiben. Das vermisse ich jetzt etwas. Vielleicht hätten die Tipps zur Entschleunigung des sozialen Lebens dem einen oder anderen in dieser Krise helfen können.

Niklas Hobacher:
Die große Schwierigkeit beim Schreiben dieses Buches lag darin, einen roten Faden zu finden und das Buch zu strukturieren. Einfach deshalb, weil die Themen sehr vielfältig und komplex sind. Wir hatten zunächst die Idee, die Struktur des Buches rund um das Immunsystem aufzubauen: Was schwächt das Immunsystem und wie können wir dem begegnen. Jetzt, im Rahmen der Corona-Krise, ist diese Idee wieder zu neuem Leben erwacht. Und mit „Reenergizer“ arbeiten wir gerade an einem neuen Projekt, das das Immunsystem in den Vordergrund rücken soll.

Sachbuch-Couch.de:
Welche Ihrer Lösungsvorschläge setzen Sie selbst konsequent im täglichen Leben um?

Simone Janßen:
Definieren Sie bitte „konsequent“… (lacht). Ich höre mehr auf meinen Körper und meine Bedürfnisse. Das ist das Konsequenteste an meinem Handeln. Und dadurch schleicht sich in ganz viele andere Bereiche in meinem Leben vermeintlich Inkonsequenz: Zum Beispiel bin ich Intervall-Faster und frühstücke nicht – in seltenen Fällen bekomme ich aber morgens unbändigen Hunger. Und dann esse ich. Egal, wie viel Uhr es ist. Das schließt vielleicht etwas an Ihre Frage zum „Selbstoptimierungsdruck“ an: Der verzweifelte Versuch, auf jeden Fall konsequent zu sein, sorgt ganz oft dafür, dass man sich selbst zu viel Druck macht oder die Signale des eigenen Körpers ignoriert.

Niklas Hobacher:
In meinen 30ern habe ich sehr viel meditiert. Irgendwie hat sich diese regelmäßige Routine dann aber später mit Kleinkind wieder aus meinem Leben verabschiedet. Seit vielen Jahren gehe ich gerne in die Sauna und dusche morgens für 30 Sekunden kalt. Das kostet allerdings immer noch Überwindung ­– auch nach dieser langen Zeit … Und wie Simone frühstücke ich nur sehr, sehr selten und praktiziere damit das, was man heute als Intervallfasten bezeichnet.

Das Interview führte Lea Gerstenberger im Juni 2020.
Fotos © Dr. Simone Janßen und Niklas Hobacher

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