Die Welt der Primaten

Film-Kritik von Julian Hübecker (09.2022) / Titelbild: © polyband Medien GmbH

Primaten – das sind Affen, Menschenaffen und Lemuren, die in über 500 Arten die Welt bevölkern. Am artenreichsten ist die mittel- und südamerikanische Region, vor allem im Amazonas-Regenwald werden noch immer neue Arten entdeckt. Als unsere nächsten Verwandten faszinieren uns diese Tiere – ob bewusst oder unbewusst. Schimpansen und Bonobos stehen dabei natürlich weit oben, da sie uns so ähnlich sind. Schaut man dagegen in die Augen eines Orang-Utans oder eines Gibbons, werden Gefühle wach, die am ehesten mit tiefer Empathie gleichzusetzen sind. Die Begegnung zwischen Tier und Mensch, aber mit unseren Affenverwandten insbesondere, ist ein wichtiger Schritt, um Verständnis für die derzeitige Lage der Natur zu schaffen. Die Dokumentation Die Welt der Primaten ist eine faszinierende Möglichkeit, diese Begegnung auch digital zu ermöglichen.

Einmal um die Welt

Bei der Fülle an Arten ist es schwer, eine Auswahl zu treffen, die eine ganze Tiergruppe repräsentiert. In dieser Doku klappt diese Übersicht aber hervorragend! Primaten aus der ganzen Welt bieten einen beispiellosen Überblick: von Südamerika über Nordafrika bis zu der großen Vielfalt, die man in Asien findet. Zustande gekommen sind drei Episoden à 50 Minuten in faszinierenden Aufnahmen.

Los geht es mit der Episode „Überlebensstrategien“. Obwohl Primaten zu jenen Tieren mit den größten kognitiven Fähigkeiten zählen, müssen auch sie tagtäglich ums Überleben kämpfen. Nahrungssuche, Feinde, Konkurrenten sowie Wind und Wetter – die Natur ist unerbittlich. Sich an den jeweiligen Lebensraum anzupassen ist daher unumgänglich. Kapuzineraffen brauchen besondere Strategien, um in den Trockenwäldern Brasiliens zu überleben. Hartschalige Nüsse bieten wertvolle Inhaltsstoffe – doch wie soll man an das schmackhafte Innere gelangen? Die Lösung bieten zwei Steine, die als Hammer und Amboss fungieren. Diese Fähigkeit braucht viel Übung, um zum gewünschten Ergebnis zu führen.

Die meisten Primatenarten leben in Gruppen und sind im ständigen Austausch. Wie tief diese Verbindungen verwurzelt sind, kann man in der Episode „Familienangelegenheiten“ lernen. Altruismus spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie das Aufpassen auf die eigene Sippschaft. Die bedrohten Berberaffen in Nordafrika leben in wechselhaften Gebieten aus Tannen- und Zedernwäldern, wo es im Winter richtig kalt wird. Nicht nur ihr dichtes Fell schützt sie vor dem Erfrieren, sondern auch das Aneinanderkuscheln mit anderen Tieren aus der Gruppe.

Zum Schluss gibt es noch eine besonders spannende Episode: „Schutz der Primaten“. Über die Hälfte aller Primatenarten sind bedroht, insgesamt drei Viertel der Arten nehmen im Bestand ab. Wie tiefgreifend dieser Verlust wirkt, zeigen nicht nur ausgewählte Primaten und ihre Lebensräume, sondern auch die Forscherinnen und Forscher, die man in diesem Kapitel begleiten darf. Das bietet spannende Einblicke in die kräftezehrende Erforschung vieler Primaten; denn die meisten sind in Gebiete zurückgedrängt worden, die man nur schwer erreicht. Ein Beispiel ist der Kipunji-Affe, der erst 2005 beschrieben wurde und nur noch in einem kleinen Gebiet in Tansania vorkommt. Die strapaziöse Wanderung der Beteiligten macht klar, wie dramatisch die Lage vieler Arten ist.

Einzigartige Aufnahmen

Bereits „Die Welt der Haie“ und „Die Welt der Raubkatzen“ haben faszinierende Einblicke geliefert. In dieser neuen Reihe wird der Anspruch jedoch noch größer: Spezielle Kameraaufnahmen eröffnen den Zuschauerinnen und Zuschauern ein völlig neues Erlebnis. Hautnah begleitet man Gibbons von Ast zu Ast schwingend, als wäre man selbst dabei. Die Verbindung zwischen Mensch und Affe ist offensichtlich – doch dies wird noch offensichtlicher, wenn man den Tieren in Nahaufnahme in die Augen blickt.

Sowohl in Original- als auch in der deutschen Sprache führen die Sprecher ruhig, aber intensiv durch das Geschehen. Die Arten werden würdevoll mit all ihren Eigenheiten porträtiert. Die Einblicke in deren Leben beschränken sich natürlich nicht nur auf das tägliche Überleben, sondern fangen auch lustige Momente ein: so etwa Rhesusaffen, die mit viel Spaß und Lebensfreude in Wasserbecken springen und die Ausgelassenheit genießen. Es ist also nicht nur die Faszination, die diese Doku auslöst, sondern auch ein unbändiger Wunsch, mehr über die spannenden Primaten zu lernen.

Fazit

Man wünscht sich glatt mehr als die 150 Minuten, die auf der Blu-Ray zu finden sind. Dennoch erhält man einzigartige und besondere Aufnahmen aus der Welt der Primaten, die nochmals vor Augen führen, wie wichtig deren Überleben ist – auch wenn dies am seidenen Faden hängt.

Film & Kino:
I Am a Noise

Die drei FilmemacherinnenMiri Navasky, Karen O‘Connor und Maeve O‘Boyle begleiteten Joan Baez einige Jahre lang. Sie waren bei ihrer Abschiedstournee 2019 dabei, die sie sich anfangs des Films noch gar nicht vorstellen konnte, und erhielten Einblicke in das Leben der Sängerin, wie sie wahrscheinlich bis jetzt kein Außenstehender bekommen hat. Titelbild: © Alamode Film

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