Das geheime Leben der Bäume
Film-Kritik von Julian Hübecker (02.2020) / Titelbild: © Constantin Film Verleih GmbH / nautilusfilm
Keine klassische Dokumentation
Bäume: Starre, gefühllose Gebilde aus Holz, weder dazu fähig sich zu bewegen, noch zu kommunizieren oder sich ihrer Umwelt bewusst zu sein. Ist es nicht vermessen zu glauben, dass Pflanzen, nur weil wir ihre Sprache bisher nicht verstanden haben, bloß tote Wesen seien, einzig dazu da, uns mit Holz und Sauerstoff zu versorgen? Spätestens seit Peter Wohllebens Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“, übersetzt in 40 Sprachen, weiß jeder Laie, dass die heimische Flora wesentlich mehr auf dem Kasten hat. Nun folgt die dokumentarische Verfilmung – mit Kommentaren vom Autor selbst.
Peter Wohlleben entwickelt sich zur Eigenmarke
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Bäume die Massen faszinieren? Bereits 2018 knackte das Buch drei Jahre nach Erscheinen die 1-Million-Marke. Doch was unterscheidet es von anderen Sachbüchern? Zum einen ist es wohl die Stärke des Autors, Fachwissen verständlich zu vermitteln. Zum anderen zeigt sich aber gerade im Film, wie charismatisch Peter Wohlleben und wie fasziniert er vom Ökosystem Wald ist.
Der sympathische Mittfünfziger schafft es dabei auf ein immer höheres Podest. Bei seiner einladenden Art und ruhigen, aber selbstbewussten Stimme steht nicht nur das geheime Leben der Bäume im Mittelpunkt. Vielmehr wird auch viel auf sein Leben und seine Arbeit eingegangen. Dabei erfährt man so einiges über die Tätigkeit als Förster, was Wohlleben an dem Berufsstand stört und warum er irgendwann beschloss, alles anders zu machen. Man merkt: Er fühlt den Wald mit Leib und Seele. Kein Wunder also, dass er es schafft, Bäume als Lebewesen näherzubringen und diese mit anderen Augen betrachten zu lassen.
Mehr als das Buch?
Tatsächlich ist der Film wohl keine klassische Dokumentation. Statt eines Erzählers im Off, der die Natur mithilfe spannender Aufnahmen erklärt, tritt Wohlleben wiederholt in Erscheinung. Irgendwann wird klar: Es geht hier nicht um die bloße Wissensvermittlung, sondern darf der Film vielmehr als Begleitung zum Buch verstanden werden. Er soll in seinen Bann ziehen, was nicht zuletzt dank Wohllebens Präsenz funktioniert.
Zwar wird nur auf wenige Kapitel des Buches eingegangen, doch werden diese untermalt mit nachhaltig faszinierenden Aufnahmen nicht nur aus Deutschland. So reist der Autor nach Schweden zum ältesten Baum der Welt: Fast 10.000 Jahre alt ist die spärliche Fichte, die mitten in einem Geröllfeld steht. Ehrfurcht ist wohl das Erste, was man bei Betrachtung der alten Dame fühlt.
Im polnischen Białowieża-Nationalpark darf dagegen einem der letzten echten Urwälder Europas beigewohnt werden. Hier wird gleich ein Mythos wiederlegt: Ein Urwald ist kein undurchdringliches Dickicht, sondern ein lichtdurchfluteter Ort voller Leben, in dem die Natur sich selbst pflegt, ohne ein Zutun des Menschen. Wie schön wäre es, auch in Deutschland wieder so eine Landschaft vorzufinden. Denn es ist schon lange klar: Der Mensch kann vom Wald nur profitieren – auch auf emotionaler Ebene.
Wie kann es aber sein, dass Bäume auch Emotionen in uns wecken – ob nun Glück, Erholung, Sicherheit oder nur die Möglichkeit, einmal richtig durchzuatmen? Wälder können unsere Gesundheit maßgeblich beeinflussen. Man kann durch den Film förmlich die frische Waldluft riechen und spüren, wie diese einen belebt und das Immunsystem stärkt. Ein guter Grund, um dem Schutz der Wälder mehr Beachtung zu schenken.
„Wenn wir Naturschutz machen, schützen wir nicht die Natur – wir schützen uns selbst.“
Und trotzdem gehen wir rücksichtslos mit unseren Wäldern um. Besonders die Bäume haben unter uns zu leiden: Stadtbäume (von Wohlleben bedrückend als Straßenkinder bezeichnet) wachsen gezwängt auf engstem Raum, wo sie auf symbiotische Pilze und unterstützende Baumnachbarn verzichten müssen; Monokulturen aus Fichten schlucken das Licht und verhindern so das Wachstum anderer Baumarten; grässliche, stinkende und laute Maschinen pflügen sich durch den Wald und verdichten den Boden dabei so sehr, dass die Bodenfauna und -flora keine Luft mehr bekommt.
Es ist also ein tragisches Lied, das um die Wälder gesponnen werden muss. Umso wichtiger ist Wohllebens Beitrag: Er will sensibilisieren und aufklären. Seine Erzählerstimme ist wohl die beste Wahl, die für den Film getroffen werden konnte, denn so kann man sich einfach durch die Doku tragen lassen und genießen – und anschließend einen langen Spaziergang durch den nächstgelegenen Wald einplanen.
Fazit:
Obwohl nicht das geballte Wissen des Buches einfließen konnte, verstärkt der Film doch die Faszination zum Thema Bäume. Dabei stehen nicht nur die großen Gewächse im Vordergrund, sondern auch Peter Wohllebens Schaffen – dies ist durchaus kein Nachteil, da es vor allem seine Freude und Erzählkunst ist, die begeistert.
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