Wie man die Premier League gewinnt

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Thomas Gisbertz
9101

Sachbuch-Couch Rezension vonMai 2025

Wissen

Der Autor selbst hat für den FC Liverpool als Datenanalyst gearbeitet und gewährt einen Blick hinter die Kulissen.

Ausstattung

Fachbegriffe der fußballspezifischen Datenanalyse werden zwischendurch genau erläutert. Leider gibt es Hinweise zu weiterführender Literatur nur in Fußnoten.

Wie die Datenrevolution den Fußball bestimmt.

Die professionelle Fußballwelt ist heutzutage kaum mehr ohne eine weitreichende Datenanalyse vorstellbar. „Expected Goals“ oder „xAssists“ sind nur zwei der Schlüsselbegriffe, die immer mehr in das Alltagsvokabular der Fans aufgenommen werden. Vor wenigen Jahren wäre dies völlig undenkbar gewesen. Noch 2016 bestand der englische Nationaltrainer Roy Hodgson darauf, dass statistische Analysen in Fußball nichts zu suchen hätten. Daher erscheint es wenig verwunderlich, dass der Datenanalyst Ian Graham kritisch beäugt wurde, als er dem englischen Premier-League-Verein Tottenham Hotspur im Herbst 2007 sein selbst entwickeltes Datenmodell zur Bewertung und Analyse von Spielern vorstellte. Damals konnte niemand ahnen, dass Graham damit zu einem der wichtigsten Wegbereitern und Entwickler der modernen Datenanalyse im Fußball werden sollte - und den FC Liverpool bei seinem Weg zurück an die Weltspitze entscheidend unterstützte.

Der Daten-Doktor

Seit Herbst 2023 verhilft der Waliser Ian Graham mit der von ihm gegründeten Beratungsfirma Ludonautics Sportvereinen mithilfe von Daten zum Erfolg, indem er statistische Instrumente für die Vorhersage von Fußballspielen und die Leistungsanalyse von Spielern entwickelt. Dabei war dieser Lebensweg keineswegs so geplant. Zunächst erlangte Graham 2005 seinen Doktortitel in Physik an der University of Cambridge, bevor er auf eine Anzeige der akademischen Jobbörse aufmerksam wurde: „Möchten Sie für Ihren Lebensunterhalt Fußballstatistiken analysieren?“ Graham, der Fußball schon immer geliebt hatte, meldete sich an und arbeitete fortan für Decision Technology, einer Firma für Unternehmungsberatung - bis Tottenham Hotspur auf die Firma und Graham aufmerksam wurde.

Bekannt wurde Graham einer breiteren Öffentlichkeit aber erst durch seine Tätigkeit beim FC Liverpool. Zwischen 2012 und 2023 arbeitete er als Leiter der Forschungsabteilung des Klubs und baute als „Director of Research“ die erste interne Analyseabteilung in der Premier League auf. Seine Aufgabe bestand darin, Daten über Fußballspiele zu sammeln, zu analysieren und zu interpretieren. Im Mittelpunkt dabei stand sein stets weiterentwickeltes Modell des „Expected Possession Value“, um Spieler für die einzelnen Positionen im Team zu finden, die genau den gesuchten Bedürfnissen entsprechen. Diese analytische, auf Fakten basierende Herangehensweise hat wenig mit der Fußballromantik traditioneller Fans, Trainern und Managern gemeinsam. Doch Ian Graham belegt eindrucksvoll, warum im modernen Fußball kein Weg mehr an der Datenanalyse vorbeiführt.

Daten, Analysen und Statistiken

Man sollte fußballaffin sein, wenn man den Schilderungen und Ausführungen Grahams folgen möchte. Gut zu wissen ist aber auch, dass alle relevanten Begriffe ausführlich und anhand nachvollziehbarer Beispiele erläutert werden.

Zunächst geht der Autor im ersten Teil auf die Geschichte der Datenanalyse im Fußball und seine eigenen Erfahrungen bei Tottenham und Liverpool ein. Graham wurde anfänglich besonders von den Trainern nicht gerade mit offenen Armen empfangen und stieß durchaus auf Gegenwind - bis ein gewisser Jürgen Klopp die Möglichkeiten der Datenanalyse erkannte. Aber auch auf andere Anwender des Konzepts, wie den FC Brentford und Brighton & Hove Albion, kommt der Autor zu sprechen.

Im zweiten Teil möchte Graham vor allem geläufige Ansichten über das Fußballspiel hinterfragen. Dazu erläutert er die wichtigsten Konzepte der Datenanalyse und zeigt, vor allem am Beispiel des FC Liverpools und seiner Arbeit dort, wie sie sich auf die Premier League ausgewirkt haben.

Im letzten Teil werden einige statistische Überlegungen zu verschiedenen Fragen rund um den Fußball angestellt. Graham untersucht dabei unter anderem , warum es so schwierig ist, den richtigen Trainer einzustellen (und warum Jürgen Klopp hervorragend zu Liverpool passte), ob Lionel Messi oder Christiano Ronaldo der bessere Spieler ist und warum die Hälfte der Transfers scheitern.

Teamwork ist alles

Eines wird schnell deutlich: Die Datenanalyse kann großen Einfluss auf den Erfolg eines Vereins haben, aber nur, wenn vom Scouting, über den Manager (der in England die Aufgaben des Trainers und des Sportdirektors übernimmt und somit nicht nur Einfluss auf die Taktik und das Training, sondern unter anderem auch auf die Kaderplanung hat) und bis zum Präsidium alle zusammenarbeiten. Graham wird nicht müde, dieses Teamwork hervorzuheben. Es wird aber auch deutlich, dass diese gemeinsame Arbeit unter Berücksichtigung der Datenanalyse den Fußball für immer veränderte. Graham zeigt auf, dass ein sorgfältiger, evidenzbasierter Ansatz bei der Rekrutierung von Spielern und Managern die Zukunft einer Mannschaft und eines Vereins auf einschneidende Weise beeinflussen kann. Dabei hat die Zukunft gerade erst begonnen. Nicht zuletzt bietet KI im Rahmen der Datenanalyse ganz neue Möglichkeiten.

Wenn Romantik Statistiken schlägt

Am Ende der Lektüre ist aber auch der Fußballromantiker glücklich, denn die Datenanalyse besitzt ihre Grenzen. Graham erklärt in seinem Buch ebenso, wie es trotz hinreichender Analyse zu Fehleinschätzungen - etwa bezogen auf den Charakter des Spielers oder dessen Fähigkeiten - kommen kann. Auch dass Spiele gewonnen werden können, obwohl dies statistisch betrachtet so gut wie ausgeschlossen ist, wie etwa Liverpools Weiterkommen in der Champions League gegen den FC Barcelona 2019, verschweigt Graham keineswegs. Angesichts der 0:3-Niederlage im Hinspiel schätzten „seine“ Algorithmen die Chance des englischen Vereins, doch noch ins Finale einzuziehen, auf 3,5 %. Am Ende gewann der LFC sensationell mit 4:0. Es ist schön und beinahe beruhigend zu sehen, dass die Faszination Fußball nicht nur aus Zahlen, Daten und Statistiken besteht.

Fazit

Man kann das Buch nur allen Fußballfans ans Herz legen. Denn es beweist einmal mehr - um es mit den Worten der bekannten italienischen Trainers Arrigo Sacchi zu sagen - dass von allen unwichtigen Dingen Fußball mit Abstand das wichtigste ist. Daher werden nicht nur Statistik-Nerds, sondern alle Fußball-Fans ihre Freude an den Fakten zur Datenanalyse, den zahlreichen Anekdoten und dem geballten Insiderwissen haben.

Wie man die Premier League gewinnt

Ian Graham, Die Werkstatt

Wie man die Premier League gewinnt

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