Mein Name ist Barbra

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Michael Drewniok
9101

Sachbuch-Couch Rezension vonJan 1970

Wissen

Schon der Umfang dieser Autobiografie belegt, dass die Autorin nicht sich an viele, viele Erlebnisse und Details ihrer Vergangenheit erinnert (und erinnern will)!

Ausstattung

Auch die zahlreichen, oft privaten Fotos hat die Autorin ausgesucht und beigesteuert.

Viel zu sagen, viel zu gewichten.

Diese Frau hat lange gelebt und viel erlebt. Davon möchte sie nun erzählen, und da sie auf dem Standpunkt steht, dass die Dinge, die man sich ans Bein bindet, möglichst gut erledigt werden sollen, hat diese Bestandsaufnahme zehn Jahre gedauert und bringt in der deutschen Ausgabe 1134 Seiten und mehr als 1,7 Kilogramm auf die Waage! (Leser mit schwachen Handgelenken seien auf die digitale Fassung verwiesen, obwohl der Trainingseffekt während der Buchlektüre nicht abzustreiten ist.)

Glücklicherweise (bzw. selbstverständlich) führt Barbra Streisand (Tage-) Buch und unterhält ein Archiv in eigener Sache. Außerdem wirft sie offensichtlich überhaupt nichts weg, erinnert sich an jedes noch so kleine Besitzgut und kann deshalb auf einen Informationsschatz zurückgreifen, der ihr bemerkenswertes Gedächtnis unterstützt. So entstand eine Ausnahme-Autobiografie, was keineswegs allein auf den Umfang zurückzuführen ist: Obwohl sie sich (angeblich) lange gesträubt hat, ergreift Streisand nunmehr die Gelegenheit, sich über ihr Leben und Werk - diese Doppelung ist wichtig! - Auskunft zu geben.

Das bedeutet in ihrem Fall auch (und manchmal ganz besonders): Sie stellt richtig, was ihr fälschlich vorgeworfen wurde. Streisand ist eine Person, die polarisiert. Sie weiß es, und ungeachtet der Schwierigkeiten, in die es sie brachte (und bringt), gedenkt sie daran nichts zu ändern. Sie hat ihre Meinung und die Kraft, darauf zu bestehen. Widerstand und Gegenwind lässt sie aufblühen, was ihr als Frau in einer von Männern dominierten Arbeitswelt nicht nur half, Widerstände, Ungerechtig- und Übergriffigkeiten zu überstehen, sondern sich durchzusetzen. Die Unterhaltungsindustrie, die Medien, aber auch Politiker oder andere Interessengruppen konnten sie nicht kontrollieren oder gar einschüchtern, weshalb sie u. a. ihre berühmte Nase unbegradigt durch eine schon mehr als sechs Jahrzehnte währende Karriere trägt.

Stimmkraft und das Ausloten der Möglichkeiten

Man fragt sich freilich oft, ob die von der Autorin mit Namen und jeweiliger Sünde Genannten sich in jedem Fall so gezielt auf Streisand eingeschossen haben, wie sie es empfand. Eine Autobiografie ist generell keine objektive Bestandsaufnahme. Auch hier hat es die Autorin in der Hand, wie sie Erlebtes gewichtet und beschreibt. Es fällt schon auf, dass Streisand entweder in den höchsten Himmel lobt oder ‚sachlich‘, aber eindeutig verdammt.

Diese Kompromisslosigkeit darf man als typischen Charakterzug werten. Oft sind die Beweise eindeutig und stützen ihre Urteile. Immer wieder wird aber auch deutlich, dass Streisand ihren Redefluss zum Schwall werden lässt, um auf diese Weise begründbare Gegenargument aus dem Weg zu schwemmen. Gemildert wird diese (trügerisch sanfte) Unerbittlichkeit durch eine gewisse Selbstkritik: Streisand weiß um ihre Ecken und Kanten, und ihr ist bewusst, was es bedeuten kann, wenn sie auf ihrem Kurs bleibt.

„Mein Name ist Barbra“ ist ein stetiger Widerhall lebenslang aktiven Widerstands. Dem stellt die Autorin glaubhaft gegenüber, was ihr stets wichtiger als ihre Prominenz, die damit einhergehenden Vorteile und ihr beachtliches Vermögen war: die Kunst, was in Streisands Fall die Bereiche Musik und Film umfasst. Sie war und ist eine begnadete Sängerin, was selbst jene zugeben, die ihre von Gefühlstiefe und -intensität geprägten Lieder als altmodisch oder übertrieben ablehnen. Ihr Wille zur exzessiven Auslotung jedes Songs ist legendär (bzw. berüchtigt). Streisand dringt in Musik und Text ein, ringt mit einzelnen Takten und Noten, will vom Komponisten und Texter wissen, welche Geschichten sich hinter den Melodien verbergen. Zufrieden ist sie selten; noch heute holt sie immer wieder alte Aufnahmen hervor, um mit und an ihnen zu arbeiten.

Das Beste ist gerade gut genug

Aufgrund solcher Ansprüche ist kaum verwunderlich, dass Streisand mit ihrer zweiten Karriere als Schauspielerin rasch unzufrieden war. Sie sollte das gut geschmierte Rädchen einer Maschine sein, die seit Jahrzehnten Unterhaltung ausspuckt, der höchstens zufällig künstlerische Werte innewohnen. Streisand hielt Augen und Ohren offen, saugte hinter der Kamera auf, was ihr freundliche Regisseure, Kameraleute, Beleuchter etc. vermittelten, bis sie schließlich gut vorbereitet zur Tat schritt: „Yentl“ wurde 1983 ihr Debüt als Regisseurin, die sich keineswegs darauf beschränkte, ihrem Team und den Schauspielern Anweisungen zu geben. Einmal mehr kümmerte sich Streisand um jedes Detail, während sie gleichzeitig mit dem Widerstand einer Industrie kämpfen musste, die von (alten, weißen) Männern dominiert wurde.

Es ist schwer zu beurteilen, wie realistisch Streisands Schilderungen in dieser Hinsicht sind. Auf jeden Fall musste sie manche Kröte schlucken, doch sie gibt selbst zu, dass sie manchmal übers Ziel hinausschoss: Zum Ton kam im Film das Bild, und auch das wollte Streisand ihren Vorstellungen unterwerfen. Sie liebt es, im Schneideraum zu sitzen, wo sie an jeder Szene feilt, selbst wenn sie nur Sekunden währt. Weil Streisand nie die vollständige Kontrolle über ihre Filme erreichen (oder erzwingen) konnte, hat sie nur drei allerdings von der Kritik (größtenteils) anerkannte und an den Kinokassen erfolgreiche Filme inszeniert. (Auch an ihnen bastelt sie unermüdlich herum und nutzt gern die Möglichkeit, neue, aus ihrer Sicht endlich integrale Fassungen per Blu-ray & Co. zu veröffentlichen.)

Über jeden Film, den sie gedreht hat informiert Streisand ausführlich. Lässt man die weiter oben angesprochene Subjektivität ihrer Erinnerungen beiseite, lesen sich diese Passagen wie ein Lehrbuch für Filmschaffende. Streisand mag oft sehr oder zu weit gehen, aber man merkt sehr deutlich, dass sie weiß, worüber sie schreibt. Hinzu kommt generell eine Wortgewandtheit, die man einer Debütautorin nicht zugetraut hätte. Doch Streisand kann schreiben. Sie hat nicht nur Drehbücher verfasst, sondern auch Reden, in denen sie Stellung zu politischen, kulturellen und vor allem feministischen Themen nahm.

Die Welt besteht nicht nur aus Kunst

Je älter sie wurde, desto intensiver beschäftigte sich Streisand mit Fragen und Problemen außerhalb von Ton- und Filmstudios oder Bühnen. Sie räumt diesem Erwachen viele Buchseiten ein: Mehr und mehr wurde Streisand zur Aktivistin, die endlich einen Sinn in der von ihr ansonsten wenig geschätzte öffentliche Aufmerksamkeit fand: Man hört ihr nicht nur zu, wenn sie singt. Rasch lernt Streisand, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen und trotzdem den Reichen & Mächtigen nicht nach dem Mund zu reden.

Auch in diesem Punkt mag die Autorin keine Aktion unerwähnt lassen. Jetzt wird es schwierig, weil nicht nur sprunghaft und zu detailschwer, sondern präzise auf eine Weise, die an „name-dropping“ grenzt: Betont nebenbei lässt Streisand im Salventakt die Namen berühmter Politiker, Wirtschaftsmagnaten, Wissenschaftler, Maler einfließen; die Liste solcher großen Geister ist noch wesentlich länger, und Streisand kennt sie nicht nur, sondern nennt sie „Freunde“. (Spätestens in der dritten und letzten Fotostrecke beginnt diese Prominenz die Familie zu verdrängen.)

Ihr Privatleben legt Streisand selbstverständlich nur so weit offen, wie sie es für notwendig hält. Ihren Vater hat sie sehr früh verloren, die Mutter war eifersüchtig auf ihren Erfolg und niemals zufrieden. Beziehungen hielten nicht lange, wobei Streisand auch hier die Verantwortung gern schiebt. Sie inszeniert ihr Privatleben als Reise, die schließlich in einem Happy-End gipfelte, als sie den Schauspieler James Brolin traf, mit dem sie seit mehr als einem Vierteljahrhundert verheiratet ist. Je weiter wir uns der Gegenwart und damit dem Buchfinale nähern, desto mehr schürzt Streisand den Knoten. Das Alter wird nebenbei erwähnt, aber ansonsten ist zumindest die Sängerin so aktiv wie seit mehr als sechs Jahrzehnten. Streisand tritt weiterhin als Aktivistin auf, pflegt ihre Sammlungen und schwelgt in einem Familienleben, das (in dieser Reihenfolge) vom manisch geliebten Sohn Jason, dem Gatten Jim und diversen Schwiegertöchtern und Enkelkindern dargestellt wird. Dass sie ungeachtet ihres weiterhin schwelenden Hangs zur Perfektion zufrieden ist mit ihrem Leben, hat sie letztlich deutlich gemacht!

Fazit

Vor Fakten und Meinungen förmlich überquellende Autobiografie einer Frau, die beruflich wie privat festen Grundsätzen folgt. Die Detailintensität ist erstaunlich, und die Autorin geht oft sicherlich zu weit. Doch sie hat definitiv einiges zu sagen, und sie weiß dies durchweg lesbar in Worte zu fassen, weshalb man sich gern durch mehr als 1000 Buchseiten arbeitet!

Mein Name ist Barbra

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