Läuft bei mir (nicht)

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Yannic Niehr
7101

Sachbuch-Couch Rezension vonMär 2020

Wissen

Mackie spricht aus persönlicher Erfahrung, und das auf authentische und lustige Art und Weise. Sowohl die informative, als auch die unterhaltende Seite ist in dem Buch abgedeckt, wenn auch manches Thema eher angerissen bleibt.

Ausstattung

Auf dem Cover ist eine schlapp unter zerwühlter Bettwäsche vergrabene Dame in Laufschuhen zu sehen – das bringt das Buch ziemlich auf den Punkt. Ansonsten sind am Ende persönliche Tipps und weiterführende Links zu den verschiedenen Themengebieten enthalten.

Fröhliches Joggen

Herzrasen, Schweißausbrüche, Atemnot – und alles ohne triftigen Grund. So kann es Menschen mit manchen psychischen Erkrankungen ergehen, die einen manchmal völlig unvermittelt treffen. Anders bei der Journalistin Bella Mackie: Ihre Angststörung begleitet sie schon ihr ganzes Leben. Tatsächlich ist der Titel des Buches im Deutschen ein wenig irreführend, denn es geht durchweg mehr um Ängste als um Depressionen (wobei sie einander häufig begleiten). Doch auch von denen kann Mackie ein Liedchen singen – von extremen Panikattacken ganz zu schweigen. Der Schmelzpunkt ist erreicht, als eine Beziehung kurz vor der geplanten Hochzeit in die Brüche geht. Rückblickend betrachtet war diese eine schlechte Idee, kam der Gedanke zu heiraten doch völlig überhastet und war die Partnerschaft eher etwas, woran die Autorin sich klammerte, um vielleicht endlich doch ein Leben ohne Einschränkung zu führen. Doch ist der Absturz danach umso gewaltiger: ihre Angststörung umklammert sie mehr als je zuvor und zerrt sie in ein tiefes Loch. Bevor es zu spät ist, rafft sie sich jedoch auf, und beginnt einfach zu laufen – ohne Sinn, ohne Ziel, im Versuch, ihren Kopf, der sie fast ununterbrochen mit übermächtigen Sorgen flutet, freizukommen. Tut sie sich anfangs noch schwer damit, ist das Laufen aus ihrem Leben irgendwann gar nicht mehr wegzudenken, findet sie darin doch unerwartet Hilfe zur Selbsthilfe. So beginnt der Wettlauf gegen sich selbst…

„Heute bin ich drei Minuten gelaufen. Das ist mehr, als ich je gelaufen bin. Ich bin außer Atem, habe Seitenstechen und fühle mich schon jetzt besser als in all den letzten Jahren. Das genügt für den ersten Versuch. Jetzt kann ich wieder nach Hause gehen und ein bisschen weinen. Oder Wein trinken.“

Psychische Erkrankungen werden mehr und mehr zum Volksleiden – Ängste und Depressionen stehen ganz oben auf der Liste. Wenig verwunderlich, da unsere Zeit immer schnelllebiger, überfordernder und unübersichtlicher wird, was den Menschen von seinen Wurzeln entfernt. Die Suche nach Mitteln, welche die Psyche stärken können, ist gar nicht so leicht. Seltsamerweise hat sich etwas so Simples wie das Laufen als eines der beliebtesten etabliert. Darüber hat Bella Mackie nun dieses Buch verfasst.

Besonders ansprechend an Läuft bei mir (nicht) ist, dass Mackie sowohl sachlich nützliche Informationen zusammenträgt, als auch persönlich berichtet – zum einen, weil sie aus ihrem eigenen Leben erzählt, zum anderen, weil sie direkt an den Leser appelliert und ihn unterstützen möchte. Herausgekommen ist eine Mischung aus Erfahrungsbericht und Ratgeber, die sich des Themas psychischer Erkrankungen zum Glück mit erfrischendem Humor annähert und dadurch weder trocken, noch mit didaktisch erhobenem Zeigefinger, noch mit hohlen Pseudo-Motivations-Phrasen daherkommt

„Ein Stechen, ein Anstieg von Adrenalin oder ein schlimmer Gedanke: solange ich lief, hielt ich mich nicht damit auf. Die restliche Zeit des Tages gehörte ihnen, nicht aber diese paar Minuten.“

Mackie gliedert ihr Buch in mehrere Abschnitte, denen jeweils ein kurzer Text vorangestellt ist, der eine ihrer Lauferfahrungen beschreibt. Dabei beginnt sie an ihrem Tiefpunkt (nach der Trennung) und arbeitet sich von dort aus mal zurück (in ihre Jugend und wie ihre Störung ihr bisheriges Leben geprägt hat) als auch vor (die Aufs und Abs ihres weiteren Lebens-Laufes). Angereichert sind die Abschnitte dann jeweils mit allgemeinen Tatsachen über ein bestimmtes Thema sowie Zitaten aus Studien und Statistiken, immer wieder durch Mackies ironischen Schreibstil aufgelockert. Die wichtigsten Fakten und Zahlen sind dabei auf Deutschland übertragen worden, anstatt den Stand aus ihrer Heimat Großbritannien einfach zu übernehmen – eine kluge Entscheidung, um den Erkenntnisgewinn für hiesige Leser zu erhöhen. Auch andere Menschen, die es nicht immer leicht haben, hat die Autorin befragt und so eine Collage verschiedenster Erfahrungen mit dem Thema Laufen gesammelt. Sie geht auf die Krankheitsbilder und Unterschiede zwischen bestimmten psychischen Störungen ein, auf etwaige Medikationen, auf mögliche Rückschläge, auf fragiles Selbstwertgefühl und auf die wissenschaftlichen Meinungen zum positiven Effekt des Laufens. Allerdings ist die thematische Organisation nicht immer übersichtlich gelungen, und manchmal verliert man sich ein bisschen in der Art und Weise, wie Mackie zwischen den Themen hin- und herspringt.

Fazit:

Läuft bei mir (nicht) ist Offen und direkt, erfrischend und unterhaltsam, informativ und hilfreich. Wer auf persönliche und witzige Art und Weise erfahren will, wie man (akut oder prophylaktisch) etwas für die eigenen geistige Gesundheit tun kann und die Lichtblicke findet, um auch die tiefsten Tiefs heil zu überstehen, liegt hiermit genau richtig!

Läuft bei mir (nicht)

Bella Mackie, HarperCollins

Läuft bei mir (nicht)

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