Kreuzfahrer

Wertung wird geladen
Michael Drewniok
9101

Sachbuch-Couch Rezension vonDez 2025

Wissen

Ein überraschend komplexes und sich über Jahrhunderte erstreckendes Phänomen wird allgemeinverständlich und spannend dargestellt.

Ausstattung

Die Illustrationen beschränken sich auf eine Farbfotostrecke und diverse, sehr klar aufbereitete Karten.

Gott will es (dass Blut in Strömen fließt).

Es ist ein fataler ‚Scherz‘ des Schicksals, dass zwei mächtige (und gewaltbereite) Religionen, die über Jahrhunderte einander spinnefeind waren und auch heutzutage eher mühsam Kontaktbereitschaft signalisieren, einen bestimmten Ort als zentrale Stätte des Glaubens beanspruchen. Für die christliche Kirche ist Jerusalem jener Ort, an dem Jesus Christus sich als Sohn Gottes offenbarte, gekreuzigt wurde und wieder auferstand. Für die Anhänger des Propheten Mohammed gilt Christus als Prophet Gottes, der von diesem nach Erfüllung seiner irdischen Pflichten lebendig in den Himmel aufgenommen wurde.

Man sollte meinen, dass diese Sichtweisen deckungsgleich genug sind, um in Eintracht = als Wallfahrer in Jerusalem miteinander auszukommen. Doch das ist ein Traum, der durch jene seltsame, auf das Nicht-Irdische gerichtete, aber jederzeit auf das Diesseits ausstrahlende (oder durchschlagende) Kraft ad absurdum geführt wird, die „Religion“ genannt wird. Im Namen diverser Götter wurden und werden die übelsten Gräueltaten begangen, um zu gewährleisten, dass die Menschen nur jenen himmlischen Vorbildern folgen, die ihnen meist selbst ernannten Vertreter auf Erden vorschreiben. Da sich praktischerweise kein Gott je in die Dummheiten seiner Gläubigen eingemischt hat, mussten diese Stellvertreter höchstens diejenigen fürchten, denen sie auf Erden konkurrierend in die Quere kamen.

Erst recht fatal wurde es, wenn die Repräsentanten von Kirche und Welt sich einig waren. Dan Jones, Historiker und Schriftsteller, weiß die verheerenden Folgen anhand eines historischen Phänomens zu belegen, das ungeachtet einer Erforschung durch unzählige Fachleute noch immer Stoff zum Nachdenken bietet. Die Kreuzzüge ermöglichen darüber hinaus eine von Mythen und Legenden belebte, durchaus fantasylastige Sicht auf eine Vergangenheit, die sich mit der Realität mindestens messen kann.

Die Realität stellt die Fiktion in den Schatten

Jones vermag immenses Fachwissen und ausgiebige Recherchearbeit schriftstellerisch umzusetzen. Schaut man auf das dem Buchumschlag aufgedruckte Autorenfoto, scheint er vorsätzlich zu demonstrieren, dass der akademisch abgehobene Blick auf eine möglichst nüchtern = objektiv geschilderte Vergangenheit einer der Allgemeinverständlichkeit gewichenen Darstellungsweise gewichen ist: Mit verschränkten, muskulösen und tätowierten Armen, die dank eines schwarzen Kurzarm-Shirts sichtbar werden, wirkt Jones in keiner Weise wie ein ‚typischer‘ Historiker.

Dazu passt ein bewusst subjektives Herangehen an das Thema, ohne darüber die Fakten zu vernachlässigen. Jones schwebt nicht unsichtbar über dem Geschehen, sondern gibt der Geschichte Gesichter bzw. Münder und Hände. Die Kreuzzüge sind von zahlreichen Zeitgenossen schriftlich gewürdigt worden, die sich in einer noch recht schriftarmen Zeit mit sämtlichen Aspekten beschäftigt haben. Dies geschah auf allen Seiten, weshalb wir nicht nur über die Geschehnisse, sondern auch über die Gedanken der Beteiligten informiert sind. Die Geschichtswissenschaft weiß inzwischen recht gut die Wahrheit aus den je nach Sicht auf die Ereignisse gefärbten zeitgenössisch Quellen herauszulesen. Fast ein Jahrtausend nach dem Ersten Kreuzzug wissen wir so viel, dass die Schwierigkeit eher darin besteht, die Geschichte/n so zu raffen, dass die historische Substanz erhalten bleibt, ohne einerseits in abstrakter Darstellung zu erstarren oder andererseits in Details und Anekdoten zu ersticken.

Diese Herausforderung hat Jones gemeistert. Seine Quellenbasis ist breit, und vor allem war es ihm ein Anliegen, die Primärquellen buchstäblich zu Wort kommen zu lassen, wenn er immer wieder Zeitzeugen die beschriebenen Ereignisse kommentieren lässt. Er selbst wagt sich auf den schmalen Pfad einer Darstellung, die ebenfalls gewollt auch unterhaltsam sein soll und Ironie sowie oft schwarzen Humor nicht ausschließt. Viele Autoren haben bewiesen, dass sich Geschichte als auf Fakten heruntergebrochene, dürre Langeweile vergeuden lässt. Doch die Welt vor beinahe einem Jahrtausend ist so bunt, faszinierend fremd und erschreckend, dass sie auch wissenschaftliche ‚Laien‘ in ihren Bann ziehen wird - und dies jenseits ebenso plump wie pompös die Wahrheit als Steinbruch instrumentalisierender Hollywood-Blockbuster à la „Kingdom of Heaven“ (2005; dt. „Königreich der Himmel“)

Eine Welt im Krisenzustand

Jones erzählt nicht zum wiederholten Mal nach, was in Kleinasien geschah. Die moderne Sicht auf das Thema Kreuzfahrt fließt in seine Darstellung ein und erweitert eine lange allzu eingeschränkte Sichtweise: Kreuzzüge und kreuzzugsähnliche Heerfahrten waren frühe „multinationale“ Bewegungen, in denen Menschen aus zahlreichen Ländern zusammenkamen und die auch außerhalb des Heiligen Landes stattfanden. Bevor sich im Frühjahr 1096 erstmals ein gewaltiges Heer auf den Weg machte, hatte es beispielsweise einen ‚Probelauf‘ im ebenfalls muslimisch besetzten Spanien gegeben. Hier wiederholten sich christliche Attacken über viele Jahre, bis man die ‚Heiden‘ gänzlich von der iberischen Halbinsel vertrieben hatte. Seit dem 12. Jahrhundert wurden zusätzlich nordosteuropäische, aber auch nordafrikanische Landstriche ins Visier genommen, die von nicht christlichen Völkern bewohnt wurden.

Ebenfalls von Anfang an begannen fromme Christen, die nicht „das Kreuz nahmen“, daheim mit der stellvertretenden Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, die mit religiösem Eifer ersatzweise umgebracht, vertrieben und beraubt wurde. Die Religion diente auch als Vorwand, um den Hunger nach Macht und territorialer Erweiterung zu stillen. Wirtschaftliche Interessen, Eigennutz und Abenteuerlust spielten ebenfalls entscheidende Rollen. Jones sortiert sowohl auf christlicher als auch auf muslimischer Seite heraus, welche Motive sich hinter dem Rauben und Morden im ‚Auftrag‘ Gottes verbargen. Ans Licht kommen ernüchternd irdische Fakten, die das schon zeitgenössisch bröckelnde Ideal des Kreuzfahrers endgültig in Trümmer legen.

Was seit dem Ende des 11. Jahrhunderts nicht nur im „Heiligen Land“, sondern in ganz Europa und Kleinasien geschah, entwickelte ein Eigenleben, das die Geschichte nicht nur prägte, so lange man das Kreuz nahm, sondern sich in den Jahrhunderten widerspiegelte, die den Kreuzzügen folgten. Dan Jones bricht seine Darstellung nicht ab, nachdem die ursprünglichen Kreuzfahrerstaaten 1291 untergegangen sind, sondern folgt den Ereignissen, die einem weiterhin lebendigen Trieb der Zeitgeschichte folgten: Die Energie, die über lange Zeit in den Erhalt der „heiligen“, von (mehr oder weniger) christlichen Herrschern regierten Länder investiert wurde, aber vor allem die in diesem Zusammenhang entstandenen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen und Netzwerke funktionierten parallel zum Untergang des „Heiligen Landes“ weiterhin.

Fazit

Konzentrierte, aber gut = verständlich strukturierte, faktenreiche und sich nicht auf die ‚eigentliche‘ Ära der Kreuzzüge oder Kleinasien konzentrierende, sondern die gesamte europäisch-kleinasiatisch-nordafrikanische Welt berücksichtigende Darstellung. Die Form wird dem Inhalt gerecht: Geschichte muss nicht langweilig sein, ohne darüber ihren Realitätsbezug zu verlieren.

Kreuzfahrer

Dan Jones, C.H.Beck

Kreuzfahrer

Ähnliche Sachbücher:

Deine Meinung zu »Kreuzfahrer«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Film & Kino:
I Am a Noise

Die drei FilmemacherinnenMiri Navasky, Karen O‘Connor und Maeve O‘Boyle begleiteten Joan Baez einige Jahre lang. Sie waren bei ihrer Abschiedstournee 2019 dabei, die sie sich anfangs des Films noch gar nicht vorstellen konnte, und erhielten Einblicke in das Leben der Sängerin, wie sie wahrscheinlich bis jetzt kein Außenstehender bekommen hat. Titelbild: © Alamode Film

zur Film-Kritik