Kaiserdämmerung

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Andreas Kurth
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Sachbuch-Couch Rezension vonMär 2023

Wissen

Rainer F. Schmidt zeigt mit diesem Monumental-Werk, dass er nicht nur ein Kenner des Dritten Reiches und von Otto von Bismarck ist, sondern auch die wichtige Regierungszeit Wilhelms II. wissenschaftlich zu durchdringen vermag. Damit zeigt er etliche Entwicklungsstränge auf, die sich im 20. Jahrhundert fortgesetzt haben.

Ausstattung

Personen-Register, Literaturliste und Anmerkungen sind ausgezeichnet. Ein paar mehr Abbildungen und Karten wären wünschenswert gewesen, aber dann wäre der Wälzer auch noch dicker geworden.

Drei Enkel von Queen Viktoria und ihr Weg in den Weltkrieg

Rainer F. Schmidt hat mit Kaiserdämmerung ein umfangreiches Werk vorgelegt, das aufgrund seiner Schlussfolgerungen wohl vor allem in Historiker-Kreisen große Beachtung gefunden hat. Dabei ist es - jenseits des wissenschaftlichen Disputs um gewisse Sichtweisen - aufgrund seiner umfangreichen Schilderungen politischer, wirtschaftlicher und sonstiger sozioökonomischer Fakten zum deutschen Kaiserreich einfach eine spannende Lektüre für historisch interessierte Leserinnen und Leser.

Schmidt verfolgt in dem Buch zwei große Linien. Zum einen schildert er eben die Verhältnisse im deutschen Kaiserreich, wobei er sich, von kurzen Ausflügen abgesehen, auf die Regentschaft Wilhelms II. konzentriert. Und der Autor betrachtet eingehend die Politik der im Untertitel mit ihren Hauptstädten genannten Großmächte - wobei er Österreich-Ungarn natürlich einbezieht, aber Wien im Untertitel unterschlägt, warum auch immer

Den unter Historikern mit diesem Buch verbundenen Streit, um ein vermeintlich revisionistisches Geschichtsbild der wilhelminischen Epoche, will und kann ich nicht bewerten. Zu den entsprechenden Thesen von Schmidt sollte sich jeder Leser sein eigenes Urteil bilden. Mir hat bei der Lektüre vor allem die Fülle an Fakten gefallen, die der Autor zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Gruppen im Kaiserreich zusammengetragen hat.

Anatomie des Wilhelminischen Reiches wird eingehend erläutert

Nach seinen einleitenden Bemerkungen zur “Urkatastrophe” und der Signatur der Epoche um die Jahrhundertwende, widmet sich der Autor eingehend der Anatomie des Wilhelminischen Reiches.  Außer rudimentärem Schulbuchwissen habe ich mich zuvor nie mit dieser Zeit und ihre Besonderheit befasst - und daher bei der Lektüre wirklich viel gelernt. Schmidt lässt den Leser tief in die Zeit eintauchen, schildert das Regierungssystem, erklärt die so genannte “monarchische Exekutive” und das merkwürdige Wahlrecht.

 Bei der Schilderung der Anatomie des Wilhelminischen Reiches waren für mich vor allem die politischen Parteien, Interessengruppen und die Agitationsverbände interessant. Der Autor erklärt beispielsweise den Unterschied zwischen Reichsnationalismus und Radikalnationalismus, es geht um die Klassengesellschaft im Kaiserreich, Adel und Militär. All das kann man oberflächlich und langweilig erklären, oder detailreich und in fesselndem Tonfall. Rainer F. Schmidt ist ein guter Erzähler, der auch bei einem Buch mit wissenschaftlichem Anspruch seine Leserinnen und Leser mitnimmt, ihr Interesse weckt, und sie mit vielen Einzelheiten und Anekdoten auch gut unterhält - jedenfalls ist es mir bei der Lektüre so gegangen.

Innenpolitik wird an den Regierungszeiten der Kanzler abgearbeitet

Die deutsche Innenpolitik schildert der Autor in Abschnitten, die den einzelnen Reichskanzlern gewidmet sind. Die Kapitel über die Außenpolitik haben ihm Kritik aus seiner Zunft, also von anderen Historikern eingetragen. So ein Disput unter Wissenschaftlern mag seine Berechtigung haben, ich habe bei Schmidt keine komplette Umdeutung des Weges zum Kriegsausbruch herausgelesen. Er schildert die Politik von Frankreich, Großbritannien und Russland - und welche Wahrnehmung es dazu in Deutschland und Österreich gegeben hat. Dass es am Ende Deutschland war, das den Krieg “ausgelöst” hat, wie Schmidt schreibt, wird von ihm überhaupt nicht in Frage gestellt. Insofern ist die Aufregung unter den Historikern auch etwas, das dieser Richtung der Wissenschaft nicht fremd ist - Kontroversen über historische Bücher hat es schon häufig gegeben.

Fazit

Rainer F. Schmidt hat die Resultate seiner umfangreichen Forschung in einem gut zu lesenden, hoch interessanten Buch zusammengefasst. Jenseits der möglichen Beurteilung durch andere Historiker halte ich das Werk für einen überaus wichtigen Beitrag zum Verständnis der wilhelminischen Epoche. Schmidt hat zahlreiche Fakten zusammengetragen und erläutert spannende Zusammenhänge, die mir vorher überhaupt nicht bekannt waren. Für historisch und politisch interessierte Leser eine echte Fundgrube - und dazu auch noch wirklich gut zu lesen. Die Einordnung der Thesen des Autors mag dann jeder Leser selbst vornehmen.

Kaiserdämmerung

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