Jemen: Der vergessene Krieg

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Carola Krauße-Reim
9101

Sachbuch-Couch Rezension vonJan 2020

Wissen

Ausführlich und mit großem Überblick, aber gleichzeitig nicht belehrend führt AlDailami den Leser in das schwierige Thema ein und ergänzt die neutrale Information mit persönlichen Erfahrungen.

Ausstattung

Drei Landkarten und eine große Anzahl an Literaturquellen runden das Ganze ab, wobei der arabisch sprechende Leser im Vorteil ist, da viele der angegebenen Publikationen auf Arabisch erschienen sind, was bei diesem Thema aber nicht anders zu erwarten war.

Ein umfassend-informativer Überblick

Der gebürtige Jemenit Said AlDailami ist ehemaliger Bundeswehroffizier und promovierter Staatswissenschaftler. Er beleuchtet eine humanitäre Katastrophe, die in der öffentlichen Wahrnehmung nur eine untergeordnete Rolle spielt. Was oft als „Stellvertreter-Krieg“ bezeichnet wird, ist viel mehr. Die Gründe für diesen Konflikt sind wesentlich vielschichtiger und finden ihre Wurzeln in der Geschichte und in dem Selbstverständnis der Jemeniten, die ihr Land als Wiege der arabischen Kultur sehen.

Ein geschichtlicher Überblick führt in das Thema ein

Auf knapp 100 Seiten gibt AlDailami einen kurzen Überblick über die Geschichte des Jemen bis hin zur Revolution 2011. Aus einzelnen Königreichen entstand nach der Islamisierung die umma islamiya, eine islamische Gemeinschaft, die ihre Stammesidentität aber beibehielt. Die Spaltung der muslimischen Welt in Sunninten und Schiiten spielte im Jemen keine große Rolle. Die Jemeniten sahen sich als Moslems, die Glaubensrichtung war nicht relevant. Prägend für das Land war und ist bis heute sein Kasten- und Ständewesen und die große Bedeutung der Stämme. AlDailami geht auf die Schwierigkeiten des Landes nach der Spaltung in einen scheinbar demokratischen Norden und einen sozialistischen Süden ein. Er verdeutlicht die Probleme der Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft im Norden. Ohne die Zustimmung der Stämme war keine Politik zu machen, die Ressourcen und Machtpositionen wurden geschickt untereinander aufgeteilt, um sich selbst zu bereichern. Im sozialistischen Süden hingegen wurden die Privilegien der Scheichs abgeschafft, die Produktionsmittel verstaatlicht und die sozialistisch-marxistische Lehre mit Hilfe von Propagandainstitutionen verbreitet. Als die Sowjetunion unter Gorbatschow Vasallenstaaten entlässt und dazu noch Ölfunde im Grenzgebiet von Nord- und Südjemen gefunden werden, ist die Stunde der Wiedervereinigung am 22.5.1990 gekommen. Was folgt ist die Herrschaft des Präsidenten Saleh, die von Korruption und Unterminierung durch die Stammesführer geprägt war. 2011 erreicht der Arabische Frühling auch den Jemen. Doch anders als in anderen arabischen Staaten war es im Jemen nicht eine Auseinandersetzung des Volkes mit ihren Machthabern, sondern eine Auseinandersetzung „Oppositionspartei gegen Regierungspartei“, die auch militärisch geführt wurde. Heraus kam ein bewaffneter Konflikt, der im jetzigen Krieg mündete.

Der Jemen gerät zwischen die Fronten

Sehr ausführlich beschreibt AlDailami die Probleme des Jemen-Krieges und die Interessen der kriegsführenden Parteien. Was in westlichen Medien oft als Stellvertreter-Krieg bezeichnet wird, hat viel tiefer liegende Auslöser. Die Gründe in der Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Schiiten, bzw. Sunniten zu suchen, wäre zu trivial. Die Einmischung der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi Arabiens auf der einen und die, bis heute nicht nachgewiesene, Einmischung Irans auf der anderen Seite hat rein politische und wirtschaftliche Beweggründe, die religiösen müssen als Alibi herhalten. Die geostrategische Lage des Jemen bringt das Land in eine wirtschaftlich bedeutende Lage, auch, wenn das Land selber kaum über Ressourcen verfügt. Auch die westlichen Mächte haben wenig Interesse daran, den Konflikt zu befrieden. Der Waffenhandel blüht, die Öllieferungen dürfen nicht gefährdet werden und die Wirtschaft wittert Investitionsmöglichkeiten, wenn die Pläne der Saudis und der Vereinigten Arabischen Emirate aufgehen. Auf eine neutrale Berichterstattung kann man kaum hoffen. Laut dem Autor versuchen die Medien gekonnt, Meinungen ganz in ihrem Interesse zu schaffen. Währenddessen zeigen sich UNO und Europäische Union machtlos angesichts der humanitären Katastrophe, die sich im Jemen abspielt.

Die humanitäre Katastrophe lässt das Land endgültig ausbluten

Schon vor Beginn des Krieges war die Infrastruktur genauso schlecht wie die ökonomische Lage. Doch nach Jahren des Krieges ist der Jemen politisch, ökonomisch, gesellschaftlich und infrastrukturell zerstört. Dadurch läuft die humanitäre Hilfe ins Leere. Die Hilfsgüter kommen nicht an oder werden zur Bereicherung der Stammesfürsten vor Ort missbraucht. AlDailami schildert diesen Zustand sehr eindringlich und anschaulich und macht die Ohnmacht der Hilfsorganisationen deutlich. Genauso deutlich macht er aber auch die Gleichgültigkeit der Welt gegenüber dieser Katastrophe, zeigt Gründe für dieses Desinteresse und erklärt, warum der Krieg gerne vergessen wird. Zum Schluss versucht der Autor Lösungsvorschläge zur Beendigung des Konfliktes zu bieten. Für ihn kann nur ein Dialog zwischen Huthis und Regierung zum Erfolg führen. Beide Kriegsparteien müssen zu Kompromissen bereit sein, die Propagandaspirale muss beendet werden, der Jemen darf nicht mehr Spielball der Mächte sein. Eine Weiterführung des militärischen Konfliktes dagegen kann nicht zur Befriedung des Jemen führen, nur eine rein politische Lösung verspricht Erfolg. Die Staatengemeinschaft muss ihre wirtschaftlichen Interessen vergessen, eine Vermittlerrolle übernehmen und sich für den Frieden einsetzen, aber ohne ein Diktat auszuführen, denn nur die verfeindeten Lager im Jemen haben die Macht, aus eigener Einsicht den Krieg zu beenden.

Fazit

Said AlDailami hat ein überaus informatives, aber auch sehr gut verständliches Buch abgeliefert, was bei dem Thema nicht selbstverständlich ist. Der Jemen-Krieg entpuppt sich als sehr vielschichtiges Drama, das wie eine Krake ihre Arme in viele Bereichen streckt. Der Autor hat die Verwicklungen der einzelnen Kriegsparteien genauso gut beleuchtet und erklärt, wie die Interessen der Weltwirtschaft hineinspielen. Wer sich für die Politik im Mittleren Osten interessiert, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Ausführlich und mit großem Überblick, aber gleichzeitig nicht belehrend führt AlDailami den Leser in das schwierige Thema ein und ergänzt die neutrale Information mit persönlichen Erfahrungen. Drei Landkarten und eine große Anzahl an Literaturquellen runden das Ganze ab, wobei der arabisch sprechende Leser im Vorteil ist, da viele der angegebenen Publikationen auf Arabisch erschienen sind, was bei diesem Thema aber nicht anders zu erwarten war.

Jemen: Der vergessene Krieg

Said AlDailami, C.H.Beck

Jemen: Der vergessene Krieg

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