Ich war zu jung, um zu hassen

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2024
  • 1
Ich war zu jung, um zu hassen
Ich war zu jung, um zu hassen
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Julian Hübecker
9101

Sachbuch-Couch Rezension vonFeb 2024

Wissen

Hier steht weniger das Wissen um den Zweiten Weltkrieg im Vordergrund als vielmehr die persönlichen Erfahrungen einer Überlebenden.

Ausstattung

Einige Fotos im Mittelteil geben einen Einblick in das Leben von Lidia.

Bedrückend und authentisch zugleich!

„Du musst dich immer daran erinnern, wer du bist und woher du kommst“ – wie ein Mantra wiederholt Lidias Mutter immer wieder diese Worte. Denn sollte Lidia überleben, so soll die Vierjährige wissen, wo ihre Heimat ist. Dass sie überleben wird, gleicht einem Wunder. Jahrzehnte später findet sie die Kraft, über das Erlebte zu sprechen und wie es war, die eine Mutter in den Wirren des Krieges zu verlieren, und eine andere zu finden ...

„Der Körper hat es durchlebt, der Verstand hat es abgespeichert, dann aber auch begraben. Nur um wieder etwas freizugeben, Jahr für Jahr, wie das Meer sein Treibgut.“

Keine vier Jahre alt ist Lidia, als sie mit ihrer Mutter und ihren Großeltern in den weißrussischen Wäldern von den Deutschen gestellt und nach Auschwitz-Birkenau deportiert wird. Eigentlich bedeutet ihr junges Alter den sicheren Tod, konnten Kinder schließlich nicht als Arbeitskräfte eingesetzt werden. Doch im gefürchtetsten aller Konzentrationslager praktizierte Josef Mengele und nutzte Kinder als Versuchsobjekte. Das rettete Lidia das Leben, sorgte aber dafür, dass sie immer wieder zu Versuchszwecken von Mengele herausgepickt wurde.

Die einzigen Lichtblicke in dem trostlosen Leben bietet nur ihre Mutter, die einige Baracken entfernt untergebracht wurde. Immer wieder schleicht sie sich trotz Lebensgefahr zu ihrer Tochter, um ihr hier und da eine Zwiebel zuzustecken. Als die russische Armee sich schließlich nähert, ist Lidia abgemagert, doch ihr Wille zu überleben ungebrochen. Die Deutschen haben die Flucht Richtung Deutschland angetreten, viele Gefangene im Schlepptau auf dem sogenannten Todesmarsch – darunter: Lidias Mutter.

Schließlich wird Lidia von einer polnischen Frau adoptiert und aufgezogen. Man sagt Lidia, dass ihre Mutter gestorben sei. So wächst sie im Dorf Auschwitz nahe des einstigen Lagers auf, ohne zu wissen, ob ihre Mutter wirklich tot oder auf der Suche nach ihr ist. Erst als sie volljährig wird, erhält sie einen Brief vom Roten Kreuz – und damit Gewissheit …

Vom Überlebenswillen eines kleinen Kindes

Es heißt, dass Lidia eines der jüngsten Kinder ist, das in Auschwitz überlebt hat. Es scheint unglaublich, dass ein so junges Mädchen Unaussprechliches erlebt hat, um Jahrzehnte später davon zu berichten. Man könnte meinen, ein Kind in so jungen Jahren könne sich nicht an so vieles erinnern. Doch Lidia erzählt, wie ihr noch heute immer wieder kleine Erinnerungsfetzen hochkommen, die lange verschüttet waren.

Mit authentischer Stimme spricht Lidia von ihren Erlebnissen, von ihrer Sehnsucht nach der Mutter, den Schlägen, Beschimpfungen und Entbehrungen im Lager sowie dem Leben nach dem Krieg. Sie berichtet vom Verlust ihrer Großeltern, die nach der Ankunft in Auschwitz direkt ermordet wurden, von dem Leben davor, in den Wäldern, als die Familie sich dem Widerstand gegen die Deutschen anschloss. Es sind kraftvolle, gleichzeitig aber auch verletzliche Worte, nicht leicht zu verdauen. Und dennoch ist es eines von vielen wichtigen Zeitzeugnissen, die so bedeutsam und notwendig sind – gerade in der heutigen Zeit, in der die politische Stimmung immer beängstigender wird.

Wie muss es ich dann für einen Menschen anfühlen, der bereits erlebt hat, wozu Hass führen kann?

Fazit

Ein dünnes Buch, das sich dennoch nicht schnell liest. Denn man will sich Zeit nehmen, um zu verstehen. Begreifen kann man das Gewesene nicht, aber das Buch hilft zumindest dabei, sich bewusst zu machen, dass so etwas nie wieder passieren darf! Authentisch und kraftvoll ist diese Geschichte eine Lehre und eine Mahnung.

Ich war zu jung, um zu hassen

Lidia Maksymowicz, Heyne

Ich war zu jung, um zu hassen

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