Die Frau in Hitlers Badewanne

  • btb
  • Erschienen: August 2023
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Carola Krauße-Reim
6101

Sachbuch-Couch Rezension vonAug 2023

Wissen

Recherche wurde ausreichend betrieben, jedoch gibt es zu viel Fiktionales

Ausstattung

Kein einziges Foto, keine Kurzbiografie im Anhang. Viele kaum vorgestellte Personen

Vom berühmten Fotomodell zur Kriegsberichterstatterin

Elizabeth „Lee“ Miller wurde 1907 in Poughkeepsie, USA geboren. Durch einen Zufall wurde sie das gefragteste Fotomodell der Vogue, was sie in ganz Amerika berühmt machte. Doch sie interessierte sich mehr für die selbstbestimmtere Arbeit hinter der Kamera. Durch Man Ray in Paris ausgebildet, startete sie eine zweite Karriere als Fotografin. Der für sie langweiligen Ehe mit dem Ägypter Aziz Eloui Bey versuchte sie zu entkommen, indem sie wieder Anschluss an den Kreis surrealistischer Künstler in Paris suchte, den sie durch Man Ray kennengelernt hatte. Es entstanden nicht nur einige ihrer bekanntesten Fotos, sie lernte auch den Künstler Roland Penrose kennen, mit dem sie eine Beziehung einging.

1944 wurde Miller von den USA zur Militärkorrespondentin akkreditiert und berichtete seitdem für die Vogue aus Europa. Sie war damit eine der wenigen weiblichen Kriegsjournalisten. Sie berichtete als Frau zwar nur aus der zweiten Reihe heraus, aber eingebettet in die US-Army stand sie direkt im Geschehen. Miller dokumentierte u.a. den ersten Einsatz von Napalm durch die USA und fotografierte das berühmte Treffen der sowjetischen und US-Amerikanischen Truppen an der Elbe in Torgau. Sie war auch bei der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau dabei, was im Nachgang zu einem ihrer berühmtesten Fotos führte: In Hitlers Privatwohnung in München lässt sie sich in einem gestellten Foto ablichten, wie sie nackt in dessen Badewanne sitzt. Millers fotografische Dokumente ließen das grausame Kriegsgeschehen fassbar werden und zeigten gleichzeitig ihren selbstlosen Einsatz in manchmal sehr gefährlichen Situationen. Doch das alles hatte seinen Preis. Desillusioniert und durch Depressionen geschwächt, lebte sie nach dem Krieg in England, wo sie einen Sohn bekommt und als Lady Penrose 1977 auf ihrem Anwesen Farley Farm House stirbt.

Biografie oder Roman?

Die italienische Fernsehmoderatorin und Autorin Serena Dandini begibt sich im wahrsten Sinne des Wortes auf die Spuren von Lee Miller. Sie sucht die wichtigsten Stationen in deren Leben auf und versucht die Gefühle und Gedanken der Frau, die sich immer wieder neu erfunden hat, nachzuspüren. Dabei geht sie nicht immer chronologisch vor, sondern nimmt Millers Depressionen und ihr altersgeschwächtes Dasein vorweg. Aber nicht nur das unterbricht das bis dahin linear geschilderte Leben. Plötzlich lässt sich Dandini auch über eigene Gefühle und eigenes Erlebte aus, was sehr befremdlich wirkt, denn Einleitung und Cover lassen vermuten, dass es sich bei dem Buch um eine Biografie handelt. Erst im Nachwort der Autorin ist auf einmal von einem Roman die Rede, der „das Gemälde einer ganzen Epoche“ sein soll.

„Wie bei allen Romanen habe auch ich auf meine Fantasie zurückgegriffen, um Dialoge und Situationen zu rekonstruieren, ...“.

Das erklärt zwar so manches für eine Biografie Untypische im Text, doch wäre eine Deklaration als Roman auf dem Cover dann auch angebracht gewesen. Das Buch ist aber dennoch nicht Fisch noch Fleisch, denn bis auf erwähnte Ausnahmen, liest es sich eben doch wie eine Biografie, die allerdings nicht das angestrebte „Porträt einer ganzen Epoche“ ist, auch wenn unzählige Personen genannt werden. Als Ausgangspunkt oder Symbol für eine Epoche ist Miller einfach zu individuell gewesen und ist zudem oft genug gegen den Strom geschwommen. Und welche Epoche meint die Autorin überhaupt? Denn Lee Miller erlebte sowohl die „Goldenen Zwanziger“ als auch den 2. Weltkrieg und ebenso die Zeit danach.

Nur wenig Unbekanntes

Serena Dandini greift hauptsächlich auf bereits erschöpfte Quellen zurück, was dazu führt, dass sie sehr viel Bekanntes schildert. Allerdings sind vor allem die aus dem Online-Archiv der Vogue stammenden Originaltexte Millers wirklich interessant. Die Fotografin tat sich immer schwer Texte zu verfassen, doch zeigen gerade diese, wie unprätentiös diese Frau war und wie sehr sie durch die Erlebnisse im Krieg gezeichnet wurde.

Obwohl Kenner des Lebens von Lee Miller also wenig Neues erfahren dürften, liest sich das Buch interessant. Wer Miller bisher nicht kannte, wird hier mit einer Frau bekannt gemacht, die viel Schönes aber auch viel Schlimmes erlebt hat. Dandini schafft es die ewige Suche nach Erfüllung und persönlicher Freiheit zu vermitteln, die dazu geführt hat, dass sich Miller mehrmals neu erfunden hat. Schade ist, dass die Autorin viel Wissen bezüglich Millers Umfeld voraussetzt. Es werden unendlich viele Personen genannt, deren Namen großteils aber nur Interessierten bekannt sein dürften. Vielleicht hätte hier eine Auflistung mit kurzer Erklärung im Anhang Abhilfe geschaffen. Genauso habe ich dort auch eine Kurzbiografie vermisst, was allerdings auch nur bei Biografien, aber eben nicht bei Romanen üblich ist. Aber am allermeisten hat mich gestört, dass es im ganzen Buch nicht ein einziges Foto gibt.

Wo sind die Fotos?

Eine Biografie oder zumindest einen biografisch gestützten Roman über eine Frau, die Modell und Fotografin war – und dann keine einzige Abbildung! Immer wieder erwähnt Dandini Millers außergewöhnliche Schönheit und ihr elegantes Erscheinungsbild. Unzählige Fotos sind von der jungen Frau gemacht worden, die als eines der berühmtesten Modells ihrer Zeit galt. Doch wie Miller damals aussah oder dargestellt wurde, muss man sich alles aus den endlosen Beschreibungen Dandinis herauslesen. So geht es auch mit allen anderen Fotos, die von Miller während ihrer Pariser-Zeit gemacht wurden. Dazu gehören einige wirklich bemerkenswerte Aufnahmen ganz im surrealistischen Stil. Das alles wäre vielleicht noch hinnehmbar. Wie man allerdings ein Buch nach einem berühmten Foto benennen kann und dieses dann nicht abbildet, ist mir absolut unverständlich. Die fiktionale Illustration auf dem Cover ist nicht einmal andeutungsweise das, was auf dem Originalfoto zu sehen ist! Eine Biografie oder auch nur Romanbiografie über eine Fotografin, die vor allem durch ihre fotografische Kriegsdokumentation im Gedächtnis geblieben ist, ohne auch nur ein einziges ihrer Fotos zu zeigen, ist für mich das K.O.-Kriterium schlechthin. Warum liefert Dandini ermüdende Beschreibungen, wenn doch das Foto alles zeigen würde? Damit fördert die Autorin den Gedanken, dass die Lektüre eines Wikipedia-Artikels über Lee Miller und eigene Internet-Recherche zu ihren Fotos vielleicht aussagekräftiger gewesen wäre.

Fazit

Lee Miller war eine der schillerndsten Frauen des 20. Jahrhunderts und eine der wenigen Kriegsberichterstatterinnen. Die vorliegende Biografie (oder doch Roman?) wird ihr nur wenig gerecht. Nur wer sich dieser ungewöhnlichen Frau erstmals nähert, dürfte Neues erfahren, doch das komplette Fehlen jeglicher Fotos wird auch diese Gruppe wenig begeistern. Nicht einmal das titelgebende Bild von Miller in Hitlers Badewanne wird gezeigt, was das Buch dann endgültig doch zu einer Enttäuschung werden lässt.

Die Frau in Hitlers Badewanne

Serena Dandini, btb

Die Frau in Hitlers Badewanne

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